Lieber verehrter Herr Doktor, man sagt mir, irgend eine Zeitung
hätte Ihren fünfundsechzigsten
Geburtstag gemeldet: nun, den habe ich gründlich
verschlafen und komme mit einem späten, darum nicht minder herzlichen Glückwunsch.
Und sage Ihnen gleichzeitig Dank für Ihre ausserordentliche
Novelle. Ich hatte seinerzeit die ersten drei Fortsetzungen in der
B. I. gelesen, die andern versäumte ich und war
schon
z↓–↓ besser und wichtiger! – ich
blieb gespannt
und hatte so deutlich alle Figuren und Situationen im Gedächtnis, dass ich im
Buche gleich dort weiterlas, wo
mir die Continuität genommen war. Ich erzähle Ihnen das, um Ihnen am lebendigen
Obiect die Plastik Ihrer Figuren zu erweisen: ich hatte nicht einen Zug von ihnen
vergessen, so scharfkantig waren sie in mein Gedächtnis eingeprägt. Ja, das ist
wieder eine ausserordentliche
Novelle, geradling im Ablauf und doch kreisförmig rund, rein abgeschlossen
und vier Menschen voll erfüllend, fünf eigentlich, denn auch der
Consul, den Sie bewusst abdunkeln, erfüllt
sich als Character. Vorbildlich bleibt mir die Ruhe Ihres Erzählens erregter und
erregender Zustände: ich fühle, wie viel mir da von Ihnen zu lernen nottut und ich
schäme mich nicht, willig dies Vorbildliche Ihrer ruhig referierenden und dabei den
Atem der andern festhaltenden Kunst einzugestehen. Möge Sie
|dies grossartige Gelingen Ihrer epischen
Ausdrucks entschäd
en↓igen↓ für die hässliche, mesquine und undankbare Art, mit der man gegen Ihre
dramatische Production verfährt. Ich empfinde es als ein Unrecht gegen uns alle im
Sinne der geistigen Gemeinschaft, dass Ihrem letzten
Stück sich das würdige Theater nicht gefunden hat, dass der
erbärmlichste französische Dreck meisterlich insceniert und interpretiert wird,
indess man wagt, ein ed
les↓el↓ geformtes und geistig ergreifendes Werk von Ihnen so einfach zur Seite zu
legen. Ich
empfinde↓spüre↓ diese Art Kränkung vehementer als eine mir selbst zugefügte.
Sonderbar: in der
Novelle
erhob sich mir jener Einwand, den ich bei
Fräulein
Else schon verspürt hatte. Sie scheinen mir, Sie, der im Leben so
Bescheidene, in der Kunst verschwenderisch mit dem Gelde. Ich habe, obwohl aus
reichem Hause, einen Tausendguldenschein
↓bei meinem Vater↓
nie gesehen und kann mir kaum ausdenken wo die
Leopoldine ihn↓diese schwer zu beschaffende Note so rasch↓ aufgetrieben hat. Mir wäre es tragischer erschienen, wenn ein amer Teufel
von Leutnant schon um einer jämmerlichen Summe von 800 Gulden zu Grunde gienge.
Elftausend, das war damals schon eine
↓kleine↓ Villa in
Hietzing. Seien Sie nicht böse, dass ich
↓auch↓ auf solche Kleinigkeiten sehe: ich glaube nur rein
technisch, dass es wichtig ist zu zeigen, wie im Leben oft an einem Hosenknopf ein
Schicksal scheitert. Die grosse Summe steigert den Leichtsinn des Leutnants und
entschuldigt das Zögern seiner Verwandten: ich hätte als junger Mensch bei all meinen
reichen Verwandten um 1000 Gulden schon vergeblich gebeten. Dies wahrhaftig mein
einziger Einwand inmitten leidenschaftlich dankbarer Zustimmung.