Stefan Zweig an Arthur Schnitzler, 4. 11. 1924

Salzburg 4. Nov. 1924
Lieber verehrter Herr Doktor, ich bin schwer in Arbeit – aber ich muss mich für eine Minute unterbrechen, um Ihnen zu sagen, wie ausserordentlich ich ihre Novelle in der »Neuen Rundschau« finde: eine trouvaille in der Technik der Novelle, spannend, aufwühlend, ganz ins Tragische aus kleinen Präludium aufsteigend. Ich wüsste kein Wort darin zu ändern – einzig für die Buchausgabe eine Zahl. 50 000 Gulden 100.000 Friedenskronen – das war eine Summe, die ein Rotschild kaum seinem Brüder a fond perdu lieh. Gieng es Ihnen nicht da wie Jacob Wassermann in der Ulrike Woytech, dass unsere Erinnerungsgefühle an Geld auch schon inflationiert sind? Gerade weil es ein entfernter Bekannter aus dem Mittelstand ist, schien mir die Summe grotest hoch – ich verstehe, dass |Sie für die seelische Motivation eine hohe Summe brauchten – uns klingt 10000 Kronen heute wie ein »Fetzen« war aber doch schon als Leihgeld unerhört viel. Ich kam auf diesen Kleinkram zu reden, weil ich selbst bei einer (unveröffentlichten) Arbeit den Widersinn spürte, zehn Kronen zu einer Entscheidung über ein Schicksal zu machen: aber es gab damals Katastrofen wegen fünfzig Heller. Wo ist die Zeit! Wie habe ich mich gefreut an Ihrem Werk, wie an der Überraschung, die mir trotz aller alten Liebe, alles guten Vertrauens, dieser Aufstieg war!
Seien Sie innigst beglückwünscht von Ihrem ergebenen
 Stefan Zweig
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