Stefan Zweig an Arthur Schnitzler, 13. 10. 1915

|SZ 13. October 1915
Verehrter lieber Herr Doktor, ich habe gestern aus einem versteckten Winkel des Burgtheaters die Freude der Wiederbegegnung mit Ihren drei Stücken gehabt und war glücklich zu sehen, dass die Andern, denen Sie zum erstenmal gegeben waren, so herzlich ihren Dank äusserten. Mir war jedes Wort von damals noch gewärtig, manches fehlte mir sogar, nur dass der Interpret damals mir lieber war als diesmal manche seiner Darsteller. Für mein Gefühl ist Walden irgendwie unzulänglich, weil er allen Menschen, die er darstellt, etwas Unfreundliches, Antipathisches mitgibt und |selbst in seiner »Grossen Scene« fehlte ihm die Schwungkraft, die widerstandslos hinüberreisst, die Selbstberauschtheit – überhaupt, er hatte in beiden ersten Stücken nicht das, was die Menschen entschuldigt und was Sie doch so sehr in die Rolle mitgegeben hatten, bei dem ersten die concentrierte Leidenschaft, bei dem zweiten die sprunghafte, aber Leidenschaft, Wärme doch in den beiden. Bassermann wird sicherlich unendlich besser sein und auch besser secundiert werden als in dieser sonst recht gelungenen Aufführung, die nur (wie so oft im Burgtheater) das Conversationelle nach oben kehrte und das Innerliche drückte. Ich glaube, man kennt Sie nicht gut, wenn man Ihre Stücke nur im Theater und gerade bei Uns im Theater gesehen hat: irgend ein Geheimnisvolles schwebt da weg, eine Atmosphäre, die sie nicht ganz zu |halten wissen: die menschliche Wärme strömt manchmal zwischen den Worten aus, statt sich mit ihnen chemisch zu binden. Ich habe einmal bei Brahm empfunden, wie man gerade in Wien (wo man’s doch am ehesten nicht sollte) immer ein wenig leichter machen will, als sie's wirklich specifisch sind: ich spüre selbst im Satyrspiel des gestrigen Abends, im »Bacchusfest« so schöne Dinge, dass ich sie ganz geniessen und nicht gerne überspielt sehen wollte. Aber freilich, das Theater soll ja nicht den einzelnen Geniessern sondern dem Publicum dienen und so war ich (so sehr mir manches schöne Wort fehlte) auch der geschwinderen Form froh, weil ich sah, wie sehr die drei Stücke gewirkt haben. Gewirkt haben gegen eine düstere Zeit, gegen einen Hintergrund, der jedes Echo privaten Problemen verweigert und damit haben Sie die siebenfache Goldprobe |bestanden! Nun kann ihnen nirgends und nie mehr Ungunst geschehen, sie schreiten weiter und weiter, werden länger dauern als das Längste, was wir im Fühlen jetzt als Mass haben, als diese Zeit, die mir wie ein halbes Jahrhundert dünkt. Ich danke Ihnen für den schönen Abend, gedenke noch inngst jenes andern, da ich zuerst sie hören durfte und mein Glückwunsch zu Werk und Erfolg kommt aus aufrichtigem Herzen. Viele Empfehlungen Ihrer verehrten Frau Gemahlin und getreue Grüsse von Ihrem ergebenen
 Stefan Zweig
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