Arthur Schnitzler an Felix Salten, 20. 10. 1911

|Wien, 20. 10. 1911.

Lieber,

Ihre zwei Feuilletons sind – muss man es erst sagen – sehr schoen. In Hinsicht auf sehr Wesentliches aber bin ich voellig anderer Ansicht, muss es sein, nicht nur weil ich das Stueck geschrieben habe, sondern weil ich zu der ganzen Frage der ethischen Werturteile, ueber Figuren innerhalb von Kunstwerken offenbar anders stehe wie Sie.
Darf ich Ihnen ein verwunderliches Missverstaendnis aufklaeren das Ihr Feuilleton im Lloyd enthielt? Hofreiter denkt nicht daran am Schluss des Stueckes »ein braver Kindesvater« zu werden, so wenig ich daran gedacht habe, das irgendwen glauben zu machen. Und es liegt nicht der leiseste Grund vor mir so etwas, was wirklich eine Banalitaet waere, zuzumuten. (Ausser bei Ihnen habe ich diese Zumutung nur unter Dutzenden ein einziges Mal gefunden). Erinnern Sie sich nur: Genia in ihrem letzten Gespraech mit Hofreiter besinnt sich ploetzlich: »Percy kommt«. Darauf er: »Den erwart ich noch – denn die Andern – na! (Handbewegung)«. Er ist also jedenfalls entschlossen ihn zu erwarten; und dass er dann, wenn die Stimme Percys im Garten toent, so weit bewegt ist (gerade in der Empfindung: nun ist das auch zu Ende), um leise aufzuwimmern, dass ist meines Erachtens kein Anlass zu vermuten, dass damit eine Art innerer Umkehr eingeleitet oder angedeutet sein sollte. Ich war himmelweit davon entfernt ein solches Missverstaendnis auch nur fuer moeglich zu halten. (Sonst hatte ich Hofreiter am Schlusse ausrufen lassen: »Nun auf nach Amerika«).
Naechsten fahre ich ueber Prag, Dresden nach Berlin und Hamburg, dort »Beatrice«, »Weites Land«, »Anatol« zu sehen. Wann ist die Dagobert-Generalprobe darf man ihr beiwohnen?
Auf baldiges Wiedersehen.
herzlichst Ihr

Felix Salten
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