Lieber, in einer sehr angenehmen Weise ergibt es sich mir aus Ihrem
Brief, für den ich Ihen bestens danke, dass Discussionen dieser Art zwischen uns
durch keinen anderen Zusatz in ihrer Sachlichkeit entfärbt werden. Aus Ihrem Brief
glaube ich ein gewisses Vertrauen in mein Verhältnis zu Ihren Arbeiten folgern zu
dürfen, und das überhebt mich, Ihnen erst noch zu sagen, wie groß mein Respect und
meine Zuneigung für jede produktive Arbeit im Allgemeinen und für die Ihrige im
besonderen ist. Ohne weiters gebe ich Ihnen denn auch die Möglichkeit zu, dass Sie
in
allen Teilen recht haben. Doch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie
meine Einwände anders auslegen, als ist sie gemeint habe, und möchte deshalb noch
ein
Wort darüber sagen. Zunächst, dass jenes Missverständnis in meinem
Lloyd-Feuilleton
garnicht besteht. Dort schrieb ich ja, dass
Hofreiter nicht bei dem Kinde bleiben, nicht im
Vaterschaftsgefühl auslaufen könne. Ich hab das natürlich begriffen, und brauchte
das
»
auf nach Amerika!« umso
weniger, als ja auch diese Reise zweifelhaft und im Grunde unwesentlich wäre. Im
Lloyd steht das auch garnicht
wie Sie annehmen, als ein Gedanke von mir gegen eine (von mir missverstandene)
Absicht von Ihnen. Vielmehr: dass dieser Kinder-Ruf ebenso wie die Antwort, die ihm
wird, mir in ihrer »Anwendung« nicht überzeugend scheine. Wenn das Kind »Vater« ruft,
der Vater »ich komme« antwortet, und diese beiden Akzente den Ausklang des
Stückes geben, mit ihrer
inneren und in der Sekunde unwidersprechlich wirkenden Bedeutung den Ausklang des
Stückes bestimmen, dann wird ein Anschein
geweckt, meinte ich, ein Ausblick geöffnet, den doch das Besinnen der folgenden
Sekunden schon verwirft. Mit Gründen, die ich ja anführte und die ja die Ihren sind.
Noch genauer: es ist psychologisch sicherlich richig, dass
Hofreiter, von der Stimme seines Kindes
getroffen, aufwimmert. In diesem Moment. Es mag auch richtig sein, dass er dem Knaben
sofort entgegenstürzt, obwol er sich in diesem Moment – auch nicht eben fähig fühlen
könnte, ihn zu sehen. Dennoch: er gibt einer Augenblicksregung nach. Einer
begreiflichen. Aber es ist zugleich auch der letzte Moment des ganzen Stückes. Die
stärkste Betonung also (glaubt man) desjenigen, was übrig bleibt. Mein Einwand gilt
also nur der sekundenlang falschen Perspektive, die innerhalb der Komödie freilich
eine psychologische Stütze sein kann, die aber an ihrem Schluß doch eine ganz andere
kunst-ökonomische Bedeutung hat. Mein Einwand ist der, dass hier eine absolut
psychologische Richtigkeit mit einer dramatischen Richtigkeit kollidirt, wodurch
beide aufgehoben werden. Was nicht geschähe, wenn
Hofreiter, vom Rufen seines Kindes ereilt, zwar aufwimmern
würde, aber erstarrt, von allem, was er erlebt hat, geschwächt, regungslos stehen
bliebe. Die Perspektive wäre dann die: dass jenes Kind im Garten draußen vergeblich
ruft, und dass dem zerstörten Manne auf der Szene nichts mehr übrig ist. Und die
letzte, stärkste Betonung des Stückes wäre dann so eindringlich, dass sie keine
Sekunde lang anders gedeutet werden könnte.
Nur noch eines: ich habe nicht daran gedacht, ethische Bedenken vorzubringen, kann
mich auch nicht besinnen, jemals Einwände der Moral gegen die Gestalten eines
Kunstwerkes erhoben zu haben und wundere mich, dass Sie’s so nehmen. Aber den
menschlichen Inhalt einer Gestalt werden wir doch wol immer wägen. Das ist, abseits
von Ethik, eine Frage des künstlerischen Materials und seiner Behandlung. So habe
ich
bei
Hofreiter, wenn ich sein
Persönlichkeitsgewicht und den tragisch gewendeten Niederschwung des Stückes
zusammenhalte, seine Konsistenz an der Wucht des Ernstes messe, in den er gestellt
ist, die
|Empfindung, dass hier
zwischen dem Material und seiner Behandlung irgendwelche Widersprüche bestehen.
Widersprüche, die ist mir aus manchen Temperamentsquellen des Dichters gewiß erklären
kann, auch damit, dass irgend ein tieferes Mitleben in Ihnen dem
Hofreiter gleichsam mit einer feinen
Persönlichkeitsfaser noch verbunden blieb, dass ein letztes Loslösen und ganzes
Freiwerden des Schöpfers vom Geschöpf dadurch nicht statttfand, und damit auch nicht
dies Freie, die ganze
Künstlichkeit der Figur überschauende Spiel
des Schöpfers mit dem Geschöpf. Noch genauer: dass dasjenige, das der Ernst des
Hofreiters ist, sich nicht
immer von Ihrem, des Dichters Ernst differenzirt, dass beides manchmal
zusammenfließt, und sie aus einem Ursprung zu kommen scheint. Eine Gestalt scheint
es
jetzt, die gelegentlich noch von einer persönlichen Sentimentalität des Dichters
umwittert ist. (Was Sie nicht mißverstehen werden.) Man brauchte aber diesen Hach
nur
wegzublasen und die vollkommenste Figur für die vollkommenste und edelste Komödie
träte hervor.
Es ist natürlich schwer für uns, für Sie wie für mich, über diese Dinge einig zu
werden. Besonders in Briefen. Aber ich denke, wir haben im Allgemeinen und in Ihrer
Arbeit so viele Treffpunkte, dass wir uns dieser einen Divergenz getrösten können.
–
Der
Dagobert ist am
14. November.
Am
13. (Montag) ist die Generalprobe, und ich werde mich natürlich sehr
freuen, wenn Sie
Beide kommen
wollen. Inzwischen hoffe ich, Sie noch zu sehen. Meine
Frau ist für wenige Tage in
Berlin.