Ihr
Schauspiel und Ihr Brief
haben mir beide tief bewegt. Der Brief, weil er so herzlich war und weil ich,
seit lange von allerlei Unglück und Missgeschick verfolgt, für Herzlichkeit sehr
empfänglich bin, das
Schauspiel, weil es mir das Werk eines Meisters scheint, vollreif.
Diese Menschen, die Sie dort darstellen, stehen uns vor Augen als wirkliche
Individualitäten, voll und rund und originell, mit Eigenschaften und
Eigenheiten, die ein Ensemble ausmachen. Die Nebenfiguren wie
Natter, oder die amüsant Karikierten,
wie
Rhon und
Serknitz, sind nicht weniger
unvergesslich als die tiefsinnig studierten und räthselvollen wie
Friedrich,
Genia und die eine
ganze Seele,
Erna.
|Ich würde nichts darüber
schreiben können, das etwas hinzufügte an die Wirkung, und nichts, das irgend
etwas erklärte, denn alles erklärt sich von selbst.
Sie lieben es, die Nebentriebe und Nebenpassionen zu verfolgen, die Sprünge und
Seitensprünge des Gefühlslebens, alles Getheilte, das von dem Hauptstamm sich
ablöst, auszubreiten. Die Welt, so gesehen, ist auf eine specielle Weise
traurig. Meiner Gefühlart nach wäre, um das Bild zu supplieren, auch das
Erhebende, das ab und zu, wenn auch sehr selten, uns begegnet, ich meine: das,
was das Leben erträglich macht, auch mit in
Rechenschaft zu ziehen.Ich bin, glaub ich, im
Ganzen pessimistischer als Sie, aber dennoch empfind ich einige Ruhepunkte, und
man muss das, soll man sich nicht tödten. Man muss z. B. Jemand vertrauen
können; |in der hier
vorgeführten, sehr reichen und schillernden Welt, ist aber jedes Vertrauen
unmöglich; alle arbeiten sich von ihren Neigungen und Bänden los.
Haben Sie Dank, dass Sie sich um das mir unbekannte Frl.
Prozor bemühten, und dass Sie ihr so nützlich waren.
Sie irren sich wenn Sie glauben, ich möchte nicht gern nach
Wien kommen. Im Gegentheil
Wien hat immer für mich eine grosse Anziehungskraft gehabt; ich habe
dort sehr angenehme Stunden verlebt, besonders – es ist lange her – in
1885, als ich den alten
Gompertz kennen lernte. Später einmal, ich weiss nicht wann, es ist
wohl 20 Jahre her, luden
Sie sich zu mir ein,
und es war bei Ihnen eine Herrengesellschaft spät Abends, wo viele, die später berühmt
××× geworden, zusammen waren:
Hoffmannsthal,
Wassermann, und
andere. Sonst habe ich in
Wien nur bei
Gompertz Menschen gesehen. Ich kenne
|ja Niemand dort.
Aber ich bin in der Regel wie in einem
Schraubenstock; ich kann nicht fort, wenn ich wollte, was zu weitläufig zu
erklären ist. Leichter zu erklären ist, dass ich eigentlich nie Geld zu meinen
Reisen habe. Aus
Deutschland bekomme ich nie
einen Pfennig, habe dort seit lange nicht einmal mehr einmal einen
Verleger und stehe mit keiner Zeitung in Verbindung.
In
Dänemark verdiente ich durch ein Buch im
Jahr 10375 Kronen, aus
England bekomme ich als
Royalty für ein Dutzend Bände jährlich 400 Kronen. –
Ihre Einnahmen werden sich glücklicherweise anders gestalten.
Ich habe das Glück gehabt, meine
Mutter etwas länger zu behalten als es Ihnen gestattet wurde. Die
Mutter ist ja vielleicht das einzige unbedingt sichere, das wir zum Vertrauen
haben, um so unersetzlicher. Sie müssen jetzt 50 Jahre alt sein, ich bin in
wenigen Monaten 70, deshalb einigermassen isolirt, obwohl mein Temperament
dasselbe geblieben.
Ich drücke Ihre Hand in alter Ergebenheit
Georg Brandes