Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 5. 10. [1900]

|Berlin, 5. Oktober. Dessauerstrasse 19

Mein lieber Freund,

Ein Herr Anton Reitler (?) läßt sich in einem Wiener Briefe in der »Vossischen Zeitung« heut folgendermaßen aus:

Ein anderes Ereigniß, das mit dem Theater in Zusammenhang stand, beginnt bereits dem Gedächtnis der Zeitgenossen zu entschwinden: Die Affaire Schnitzler—Schlenther. Schlenther soll das neue Stück Schnitzlers »Der Schleier der Beatrice« im Januar für das Burgtheater angenommen, im September abgelehnt haben, was die Vormünder der österreichischen dramatischen Produktion zu einem flammenden Proteste gegen das Vorgehen Schlenthers veranlaßte. Aus den der Oeffentlichkeit mitgetheilten, gewiß nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt gewesenen Briefen wird der Unbefangene das angebliche Schlenthersche Verschulden nicht ableiten können; aus den Briefen geht nichts anderes hervor, als daß Schlenther sich das Recht der Erstaufführung des Stückes für den Fall der Annahme sichern wollte und sicherte, keineswegs aber, daß das Stück schon angenommen war. Da man auf Seite Schlenthers böse Absicht gewiß nicht vermuthet, so kann der Auslegung, die die Schlentherschen Briefe bei Schnitzler fanden, nichts anderes als ein Mißverständniß zu Grunde liegen. Die literarischen Freunde Schnitzlers ließen aber sofort schweres Geschütz gegen Schlenther auffahren und stellten ohne weiteres auf seiner Seite die böse Absicht fest.
|Die Parteilichkeit der Darstellung darf Dich mit Rücksicht auf die Beziehungen Schlenthers zur »Vossischen Zeitung« nicht verwundern. Ich theile Dir das nur mit, damit Du Dir diesen Herrn Anton Reitler ad notam nimmst.
Ich vergaß gestern, Dir Grüße aufzutragen an die strebsamen Fräulein aus |der Rothen-Stern-Gasse.
Viele Grüße auch an Dich!
Dein
Paul Goldmnn
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