Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 19. 9. [1900]

|Berlin, 19. September.

Mein lieber Onkel,

Den Artikel des »Berliner Tageblatt« hatte ich natürlich, unter Hervorhebung der Dir günstigen Stellen, telegraphirt; die Redaktion hat mein Telegramm, wie ich heut sehe, nicht veröffentlicht (was ich Dir im Vertrauen mittheile).
Im Übrigen ist die Affaire sehr günstig für Dich und sehr ungünstig für Herrn Schlenther. Selbst in Berlin war man genöthigt, ihm harte Wahrheiten zu sagen. Und was auch die Leute darüber sagen, – und obwohl Du selbst |ganz gewiß nicht diesen Zweck im Auge gehabt hast, – die Wirkung ist: alle Welt ist auf Dein Stück aufmerksam geworden, und die Bühnen haben einen Grund mehr, Dich aufzuführen. Daß die Fernstehenden durch die Affaire ein falsches Bild von Dir gewinnen könnten, soll Dich nicht kümmern. Erstens sehe ich nicht ein, aus welchem Grunde. Und zweitens, selbst wenn es ssein sollte: glaubst Du, sie haben vorher ein richtiges Bild von Dir gehabt? |Immerhin ist zu constatiren, daß von den Berliner Blättern, die Dir doch gewiß fernstehen, keines sich in einer Weise über Dich geäußert hat, die Dich hätte verletzen können. Und wenn das Berliner Tageblatt die Preisgebung des Schlenther’schen Briefes als inkorrekt bezeichnet hat, so geschieht dies wohl hauptsächlich darum, weil sich die Berliner über den das »Deutsche Theater« betreffenden Passus ärgern.
Daß ich Richard verfehlt habe, thut mir unendlich leid. Anderseits war ich ja über |eine Woche in Wien; und wenn er wirklich das Bedürfniß gehabt hätte, mit mir zusammen zu sein, so hätte er auch etwas früher zurückkommen können. Grüße ihn recht herzlich von mir und sage ihm, daß ich ihm eine der wenigen freundlichen Erinnerungen an meine diesjährige Urlaubsreise danke. Und er soll mir Mirjams Wiegenlied schicken.
Ich leide, seit ich zurück bin, an einem Tag und Nacht andauernden, wühlenden Kopfschmerz, bin vollkommen arbeitsunfähig und fürchte unheimliche Dinge in meinem Gehirn. Viele Grüße! Dein
P. G.
|Viele Grüße an die beiden Fräulein aus der Rothe-Stern-Gasse!
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