Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 20. 9. [1900]

|Berlin, 20. September. Dessauerstrasse 19
Mein lieber Freund,
Gestern war Abendgesellschaft bei Frau M.-C. Ich war geladen, Kerr auch. Nachher gingen wir zusammen nach Hause. Kerr wünschte eine Aussprache. Ich war bereit und sagte, wie es mit mir steht. Er war weniger deutlich, weil er bereits Thatsachen zu verschweigen hat, über die ein Gentleman nicht spricht. Immerhin war er so deutlich, daß ich heute weiß: er und das Mädel sind längst einig. Ich hätte es erwarten sollen, aber ich war doch mit ein Bischen Hoffnung nach Berlin zurückgekommen. Darum traf es mich schwer. Es ist nicht blos der Schmerz abgewiesener Verliebtheit. Es ist viel mehr. Ich frage mich: warum er und nicht ich? warum muß ich immer der Ausgestoßene sein? warum muß ich |zusehen, wie ein Anderer mit einem Schlage Liebe, Jugend, Schönheit, Reichthum, alles Glück gewinnt? Und mein Leben starrt vor Öde, so daß ich kaum mehr die Kraft habe, weiter meinen Weg zu gehen, wie bisher. Ich habe heut mit wachen Augen die Nacht verbracht; und weil mir dieser Fall zum Symbol wird, weil ich an ihm die Aussichtslosigkeit aller meiner Wünsche, die Unmöglichkeit, meine Lebenslage zu ändern und nur etwas von dem Ersehnten zu erreichen, – weil ich an ihm die Hoffnungslosigkeit meines Schicksals von Neuem erkenne, – trage ich eine tiefe Verzweiflung in mir . . . . .
Viele Grüße!
Dein
Paul Goldmn
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