Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 27. 1. [1897]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 27. Januar.
Bureau à Paris

Mein lieber Freund,

Nur wenige Worte heut!
Dein lieber Brief hat mich beunruhigt. Was für Aufregungen sind das, welche Du durchzumachen hast? Ich will keine Einzelheiten wissen. Du wirst mir schreiben, wenn Du ruhig bist und Zeit hast. Aber nur in einer Zeile solltest Du mir sagen: Hängt die Sache mit Frauen, mit der gewissen Dame zusammen? Oder sind es Vorgänge nicht weiblicher Art? Im ersteren Falle würde ich bedeutend ruhiger sein. Das mag Dir frivol erscheinen – Dir, der Du mitten darin stehst. Aber ich |huldige doch der hier zu Lande üblichen Auffassung, daß Erlebnisse mit Frauen selten schwere und wesentliche Schädigungen im Leben zurücklassen . . . .
Innigen Dank für die Wärme, mit welcher Du Dich der Lorenzaccio-Angelegenheit angenommen hast! Ich weiß nicht, ob ich mich an die Arbeit machen werde. Es liegt eine complicirte Rechts-Situation vor. Nach fransischem Rechte ist Musset noch nicht frei (er wird es erst in zehn Jahren), und die Erben stellen unverschämte Forderungen. Ich erwarte die Antwort eines deutschen Advocaten über den Fall. |Bin auch wenig zur Arbeit gestimmt. Bin krank und werde täglich von der gräßlichen Angst geplagt, blind zu werden . . .
Gestern sandte ich Dir den »Temps« mit der schönen Besprechung über Dich. Der »Temps« ist das angesehenste und gelesenste fransische Blatt, die »Neue Freie Presse« von Paris. Schreib’ dem Wyzewa (der ein Freund Thorels ist) ein Wort des Dankes. Das kann gut thun, denn der Mann hat großen Einfluß. Von Thorel höre ich nichts. Ich gehe dieser Tage zu ihm . . . .
Den Schluß des Feuilletons über Lorenzaccio sende ich Dir deshalb |nicht, weil er nur mit wenigen Worten die Pariser Aufführung bespricht.
Bald höre ich hoffentlich von Dir. Arbeitest Du gar nichts?
Sei von Herzen gegrüßt!
Dein treuer
Paul Goldmann
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