Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 17. 10. [1896]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 17. October.
Bureau à Paris

Mein lieber Freund,

Warum höre ich so gar nichts mehr von Dir? Deine lieben Nachrichten fehlen mir sehr. Eine so lange Pause hast Du noch nie gemacht. Ich bin in Sorgen. Bist Du unwohl? Oder ist Dir sonst etwas Verstimmendes zugestoßen? Du mußt mir gleich schreiben.
Anbei eine Bescheinigung von Thorel, dem ich die 500 Fr. ausgehändigt. Diese Bescheinigung habe ich mir ausstellen lassen, um gegenüber der Société des Auteurs Dramatiques (durch welche hier das Tantièmen-Geschäft geht) |den Darlehens-Character des von Dir gezahlten Betrages zu constatiren. Heb’ Dir das Billet gut auf!
Die Übersetzung isseit gestern in meinen Händen. Ich will sie ein wenig durchschauen, dann soll sie copirt werden, und dann bekommst Du die Copie. Große Schwierigkeiten macht uns das »Josefstädter Theater«. In Paris hat natürlich kein Mensch eine Ahnung, was für ein Ding das ist? Wie soll man das also im Französischen umschreiben, um dem Publicum den Eindruck des |Vorstadt-Milieus zu geben? Vielleicht einfach: »un théâtre du faubourg«? Oder fällt Dir was Besseres ein.
Anbei auch ein Ausschnitt aus unserem Blatte über eine dieser Tage vorgefallene Säbel-Affaire. Wenn Du das noch nicht gelesen hast, wirds Dich interessiren.
Wie stehts mit Berlin?
Durch die verfluchten Russenfeste habe ich noch keine Zeit gehabt, zu Forain zu gehen. Das bleibt für nächste Woche.
Viele treue Grüße!
Dein
Paul Goldmann
Leo Fanjung war hier, mit dem ich mich riesig gesreut habe. Welch’ ein liebes Kind!

|Wie schon mitgetheilt wurde, hat in Karlsruhe ein Offizier einen Bürger ohne jede Veranlassung niedergestochen. Ueber den traurigen Vorgang erhalten wir von einem Augenzeugen zugleich nach den Mittheilungen weiterer Augenzeugen eine Darstellung, die durchaus den Eindruck der Glaubwürdigkeit macht. Wir geben sie nachstehend wieder, da der Vorgang zu einigen Bemerkungen an dieser Stelle Veranlassung gibt. Der Augenzeuge schreibt:
Premierlieutenant v. Brüsewitz begann mit Siepmann einen Wortwechsel, weil dieser angeblich beim Niedersitzen an seinen Stuhl gestoßen sein soll, was übrigens selbst von den mit Siepmann am gleichen Tische sitzenden Personen nicht bemerkt wurde. Siepmann erwiderte, er wisse nichts davon, daß er v. Brüsewitz angerempelt habe. Dieser rief hierauf den Wirth und forderte ihn auf, Siepmann hinauszuweisen, der nicht wisse, wie er sich zu betragen habe. Der Wirth suchte die Beiden durch Zureden zu beruhigen, was ihm anscheinend auch gelang. Siepmann verließ dann das Lokal, kam aber gleich darauf wieder herein und setzte sich. Nach kurzer Zeit rief v. Brüsewitz sehr laut: »Sie haben mich in brüsker Weise angerempelt und sich nicht entschuldigt.« Siepmann erwiderte: »Ich weiß nichts davon.« Daraufhin sprang v. Brüsewitz auf, stellte sich vor Siepmann hin und schrie: »Wollen Sie mich um Entschuldigung bitten, ja oder nein, ja oder nein, ja oder nein?« Siepmann blieb ruhig sitzen und erwiderte schließlich: »Keine Antwort wird Ihnen auch genügen.« Daraufhin trat v. Brüsewitz 2 bis 3 Schritte zurück, schrie: »Nein, das genügt mir ganz und gar nicht«, riß den Säbel aus der Scheide und wollte mit hochgeschwungener Waffe auf Siepmann eindringen. Der Wirth und der Kellner fielen ihm jedoch in den Arm und hielten ihn fest, während Siepmann das Lokal verließ und auf den Hof ging. v. Brüsewitz steckte seinen Säbel ein, setzte die Mütze auf, zog den Mantel an und rief dabei: »Meine Ehre ist kaput, ich bin ein todter Mann; morgen kann ich meinen Abschied einreichen.« Mit diesen Worten verließ er das Lokal durch die nach der Karlstraße führende Thür. Dort stand ein Schutzmann, bei dem sich v. Brüsewitz erkundigte, ob Siepmann das Lokal verlassen habe. Als dieser das verneinte, sagte v. Brüsewitz: »den muß ich abpassen.« Er holte dann zwei Feldwebel herbei, denen er befahl, an der Thüre zu bleiben, da er bedroht sei. Er selbst ging von der Kaiserstraße aus wieder in den zu den vordern Lokalen führenden Gang hinein. Inzwischen hatten der Wirth und ein anderer Herr dem Siepmann im Hofe zugeredet, er solle, um die Sache gütlich zu erledigen, am andern Tage zu v. Brüsewitz gehen und sich entschuldigen, wozu er auch bereit schien. Er bat den Wirth, ihm seinen Hut zu holen. Der Wirth holte den Hut, und wollte Siepmann vom Hofe auf den nach der Kaiserstraße führenden Hausflur lassen. Als er die Thür öffnete, stand v. Brüsewitz direkt vor der Thür und wollte mit den Worten: »Wo ist der Schuft?« in den Hof eindringen. Der Wirth faßte ihn am Arme und rief ihm laut zu: »Herr Lieutenant, der Mann will sich ja entschuldigen.« Von Brüsewitz erwiderte nichts, zog, als er Siepmann erblickte, den Säbel und ging auf ihn los. Siepmann ergriff die Flucht und rief: »Ich bitte um Verzeihung, verzeihen Sie mir.« Am Ende des nur wenige Schritte langen Hofes, holte v. Brüsewitz den Siepmann, der die Thüre zum Lokal nicht fand, ein und stach ihn nieder. Als er die blutige Waffe wieder einsteckte, sagte er: »So, jetzt ist meine Ehre gerettet,« und begab sich dann durch das Lokal ungehindert auf die Straße. Siepmann wurde von einigen Herren in die Portierstube auf ein Bett gebracht, wo er nach etwa einer halben Stunde verschied. Der Säbel war auf der rechten Seite ungefähr 30 cm tief eingedrungen und hatte die Leber und wahrscheinlich noch andere Organe durchbohrt. Die Wunde war absolut tödtlich, und die ärztliche Hilfe war vergeblich.
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