Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 23. 9. [1895]

Fondateur M. L. Sonnemann. Paris, 23. September.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris

Mein lieber Freund,

Dein Brief beginnt mit allerlei Mißstimmungs-Äußerungen, macht schlimme Erwartungen rege, – und schließlich kommt Gutes, nichts als Gutes (unberufen!). Über das Ergebniß der Leseprobe freue ich mich von Herzen, und ich glaube, es ist Anlaß, Dich dazu zu beglückwünschen. Die Haltung der großen Tragödin ist lustig zum Sich-Schütteln. Gewiß kann noch allerlei Tückisches von dieser Seite kommen – |aber, glaub’ mir, sie kann nichts mehr verderben, sie ist im Grunde machtlos. Das scheint sie übrigens selbst zu spüren, denn sonst hätte sie Dir nicht telephonisch gratulirt. Ein von Speidel günstig beurtheiltes Stück ist doch eine verdammte Geschichte. Davor muß selbst die Luderhaftigkeit sich beugen. Speidel hält sich übrigens wacker. Bravo! Auch Burckhardts Äußerungen über die Besetzung von Anatol sind ein artiges Stück Comödie. Es ist erstaunlich, wie lustig das Leben sein kann, wenn |es will.
Wie Du schreiben kannst, daß Du um sieben Jahre zurück seiest, ist mir unklar. Gibt es etwa in der Literatur eine Studien- und Examen-Laufbahn, wie in der Jurisprudenz und Medicin? Je später man zu schreiben anfängt, umsomehr hat man vorher gelebt. Und wenn in den Werken mehr durchgelebtes Leben drin ist, so ist das ein Gewinn. Hier könnte man das Paradoxon machen, daß in der Literatur die verlorenen Semester gerade die gewonnenen sind. Hättest Du vor sieben Jahren |die »Liebelei« schreiben können oder »Sterben«? Unmöglich, nicht wahr? Nun also!
In der Correspondenz, die ich meinte, sprach Uhl nicht von Dir. Er sagte nur: das Burgtheater verspreche eine Reihe von Novitäten; das sei schön; er wolle abwarten und am Ende der Saison Abrechnung halten, ob die Direction alle Versprechungen erfüllt. Damit spielte er wohl auch auf die bisherige Verzögerung der »Liebelei« an, und ich meinte, |die Abrechnungs-Drohung sei geeignet, weitere Verschiebungs-Gelüste etwas zu dämpfen.
Daß Herzl liebenswürdig ist, ist gut u. erstaunt mich nicht. Ich rathe Dir dringend, seine Einladung anzunehmen und für die »Neue Fr. Pr.« Feuilletons zu schreiben. Sehr nützlich – besonders um gelegentlich einen besseren Verleger zu finden.
|Zur Mad. Candiani gehe ich demnächst. Inzwischen hat mich die deutsche Frau eines fransischen Collegen ersucht, ich möchte ihr etwas zum Übersetzen empfehlen. Ich habe ihr die »Kleine Komödie« gegeben. Denn der betr. College ist an der »Liberté«, einem sehr angesehenen u. anständigen Blatte, u. könnte vielleicht die Übersetzung dort placiren. Als Zeitungs-Novelle ginge die Geschichte recht gut. Kriegen wirst |Du natürlich nichts, aber es wäre recht hübsch, wenn etwas von Dir in einem Pariser Tagesblatte erschiene. Bist Du einverstanden, sschreibe mir einen Brief, gerichtet an Madame Aubry (dies der Name). »Madame, Je vous autorise bien volontiers à traduire en francais ma nouvelle »Kleine Komödie«, u. sonst etwas Verbindliches. Ich würde mich freuen, wenn der kleine Plan gelänge . . . . . .
Die Ida Fanjung ist hier und läßt Euch Alle grüßen. Eine große |Freude für mich. Mit ihrem offenen Character und ihrer Geradheit issie wie ein männlicher Freund. Freilich ganz unkünstlerisch und ohne Feinheiten. Sie spürt, daß sie unkünstlerisch ist, und ist darum innerlich mit sich zerfallen. Hätte wohl nicht zur Bühne gehen sollen . . . . . .
Lies’ Rubinstein: »Die Musik u. ihre Meister«. Habe selten etwas so Geistreiches über Musik gelesen, – wenn er auch Wagner nicht mag. Von »Juliens Tagebuch« bin ich nicht gar so entzückt. |Ich mag die Bücher nicht, die thun, als ob es nichts in der Welt gäbe, als Liebe, und als ob das gar so wichtig sei! Freilich, ein Mann von großem Talent. Packt Einen aber nicht in den Tiefen.
Was Dir Paul Schultz gesagt, ist die officiöse Version u. eine alberne Lüge. Ich habe hier die Wahrheit gehört. Man hat mich nicht genommen aus verschiedenen |persönlichen Gründen, deren hauptsächlicher die alte Todfeindschaft war zwischen meinem Onkel und dem Blatte . . . . .
Meine Stimmung? Ich wünschte, es wäre wieder Urlaub und ich wäre wieder mit Dir zusammen.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund, und schreib’ bald, – besonders, wie die Dinge im Burgtheater weitergehen.
In Treue
Dein
Paul Goldmann
Wie gefällt Dir folgender Satz: »Und alle möglichen Unzulänglichkeiten menschlicher Verhältnisse wurden eilig wieder deutlich.«? Du meinst, das sei von Goethe. Aber nein, es ist von Arthur Schnitzler und steht in Deinem letzten Briefe. Wäre ich jetzt bei Dir, so würde ich Dir schleunigst den Goethe wegnehmen. Du glaubst, der Mann schreibe die auf ihre ursprüngliche Bedeutung zurückgeführte Sprache, das »Deutsche an |und für sich«. Aber nein, er schreibt einen Styl, seinen Styl, der ein ganz anderer ist, als der Schnitzlersche. Laß’ ihn wirklich einmal ein paar Wochen liegen, den alten Herrn, wenn er sich so hinterlistig in Deine Individualität einschleicht, wie obiges Beispiel zeigt, das mich nicht wenig vergnügt hat.
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar