Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 7. 6. [1895]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 7. Juni.
Bureau à Paris

Mein lieber Freund,

Noch immer nicht der große Brief. Ich bin zu lebensmüde, zu hoffnungslos. Von allen Seiten wird es enge um mich, und kein Ausweg, keiner!
Nur Folgendes: Isidor Fuchs, der ein verläßlicher Vertrauensmann ist, frug mich um Dein Stück. Ich sagte ihm, die Schwierig|keiten, die sich ihm bisher entgegengestellt, lagen wohl in den Kühnheiten, die es hat. Worauf Fuchs solgenden Vorschlag machte: Man solle es zuerst in einer jener Vorstellungen zum Benefiz der »Concordia« geben, bei denen die Burgschauspieler alljährlich mitwirken. Präcedenzfälle sind da, wo ein Burgtheater-Direktor ein Stück auf diese Weise zuerst dem Publikum vorführte, |gleichsam probeweise, um die Stimmung des Publikums zu sondiren. Fuchs, der, wie Du weißt, ein einflußreiches Mitglied der »Concordia« ist, will Dir gern die Sache bei Spigl richten. Er meint, auch Burckhardt würde mit Freuden zustimmen, und so könnte man am Besten ein weiteres Hinausschieben der Aufführung verhindern. Außerdem gibt eine Concordia-Vor|stellung eine gewisse Garantie für günstige Referate. Was sagst Du zu dem Vorschlag? Du solltest ihn meiner Ansicht nach freilich nur annehmen, wenn Du nicht ein bindendes Versprechen von Burckhardt erhalten könntest, Dich bald aufzuführen. Es wäre aber nur eine Brücke für die Directoren-Feigheit.
Die Sorma ist in Paris. Th. Wolff, der hier Correspondent |des »Berliner Tageblatt« ist, wird mich ihr vorstellen, und ich werde ihr von Dir sprechen.
À propos Wolff: er hat in Berlin eine Geliebte  gehabt, die ihm lieber war, als alle andern: Mizzi Rosner. Die Fäden, die Fäden!
Und Nordaus |Debüt in der »Neuen Freien Presse«? Die langsame Vorbereitung zu Herzls Nachfolgerschaft. Du ahnst gar nicht, was für frecher Blödsinn in diesen Kunstartikeln stand. Aber er ist der große Schriftsteller, Herzl selbst hat ihn candidirt, ich bin ein guter Reporter und zähle nicht mit. Von Herzl überrascht mich das nicht. |Trotz aller äußeren Collegialitäts-Tünche haben wir uns im Grunde immer gehaßt, und ich habe auch nichts gemeinsam mit diesem engherzigen, doktrinär vernagelten Menschen von echt rabbinistischem Spitz- und Dürr-Geiste.
Nur thut es eben gar so weh, sich so übergangen zu sehen |und immer und ewig der Mensch zweiten oder dritten Ranges zu sein.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund, und laß wieder von Dir hören!
Dein
treuer
Paul Goldmann
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