Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 19. 5. [1895]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier, Paris, 19. Mai.
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureau à Paris

Mein lieber Freund,

Gewiß, gewiß – seit ich von Frankfurt zurück bin, liegt es mir schwer auf der Seele. Täglich will ich Dir schreiben. Aber ich habe unmenschlich zu thun. Liest Du die »Frankfurter Zeitung« noch? Jeden Tag kannst Du es sehen: Salon, Kammer, Tannhäuser, Japan etc. etc. Und dann schreibe ich Dir nicht, weil ich endlich das Bedürfniß |fühle, Dir den großen Brief zu schreiben und Dir gar soviel zu sagen haben: Innerliches, nichts äußerlich Neues. Nun muß ich aber doch noch einmal den kurzen Brief absenden. Heut Sonntag Nachmittag wollte ich Dir ausführlich schreiben. Ich blieb eigens deshalb zu Hause. Da kam wieder diese verfluchte Tagesarbeit dazwischen. Nun ist es sieben Uhr, und es bleibt mir nur Zeit zu einem |raschen Gruß.
Gruß und Dank! Für soviel Treues und Liebes habe ich Dir zu danken. Eure Karte vom Kahlenberge, die Photographie, Deine lieben Briefe haben mich so innig erfreut! Es thut mir so wohl, daß Ihr und Du besonders an mich denkst, daß ich mich ein wenig bei Euch weiß. Diese kleinen Gaben bewegen mich sehr – sie rühren mich (wenn das nicht |so ein dummes Wort wäre). Dank, tausend Dank!
Daß Ihr mit Frau Andreas Freund geworden seid, isso gekommen, wie ich es erwartet. Sie gehört zu uns. Denn sie ist ein lieber, feiner und ehrlicher Mensch. Und ich weiß aus Erfahrung, wie wohl der Umgang mit dieser Frau thut! Klimatische Wirkung – das sagst Du sehr gut. Aber nun ist Eines zu beachten: |Diese Frau, die so ganz unpersönlich wirkt – manchmal so wie absoluter Verstand und absolute Wahrheit – hat eine heiße Sehnsucht, aus dieser Verstandes-Sphäre herauszukommen. Sie will Weib sein, will lieben und geliebt werden. Und wenn sie aus dem Absoluten ins Menschliche niedersteigen wollte – in den Tag hinein, wie die erste beste kleine |Nähterin – wenn ich Weibliches an ihr merkte – des douceurs, des chatteries – Weibliches, das so gar nicht zu ihr gehört (obwohl sie auch nicht unangenehm männlich ist) – dann war sie mir immer verhaßt. Jawohl, ein nervöser Haß! Gegen diese Frau, die mir so viel Gutes gethan, wie Wenige auf der Welt! Die an mich geglaubt! Die sich die Mühe genommen hat, an |mich zu glauben! Es ist abscheulich! Aber zu Zeiten haßte ich sie, ich muß es Dir sagen. In einer gewissen Entfernung hatte ich eine große Verehrung für sie. Je näher sie mir kam, umso weniger sympathisch wurde sie mir.
Nun wohl, die Frau weiß mit ihrem unfehlbaren Verstande sehr wohl, daß sie diese unpersönliche Wirkung ausübt. »Klimatischer |Einfluß«, man kann es nicht besser sagen. Sie will aber persönlich wirken – als Weib wirken. Und das ist nun die Tragödie ihres Lebens.
Daß sie sich zu Euch hingezogen fühlt, verstehe ich sehr gut. Sie hat sich für mich interessirt, weil ich ein Typus war, den sie noch nicht kannte: warm, melancholisch, weich und überhaupt wienerisch. Und nun findet sie bei Euch diesen | Typus in seiner Vervollkommung, während ich doch nur Ansätze dazu habe. Und gerade das ist es, wonach sie sich sehnt: dieser Gemüthston, in dem soviel warmes Leben ist. . . . . . . . 
Nach Kopenhagen kann ich nicht kommen. Ich muß im August nach Tölz, zur Kur. Werde ich Dich sehen? Du wirst |Dich natürlich in Deinen Plänen durch mich nicht stören lassen. Kopenhagen mußt und sollst Du sehen. Aber vielleicht ließe sich doch eine Vereinbarung treffen für die Rückreise.
Ich sende Dir anbei wieder einige Artikel. Besonders in der »Revue Blanche« mache ich Dich aufmerksam auf die Vertheidigung des Oscar Wilde durch Paul Adam. Ferner sende ich Dir ein |dummes Stück »L’amour s’amuse«, das nicht zu lesen ist. Aber es ist von Ibels illustrirt, einem neuen Künstler, dessen seltsame Art Dich interessiren wird. Den »Courrier Francais« sende ich Dir nur wegen der Zeichnung von Willette in der Mitte des Heftes. Endlich mein Salon-Feuilleton. Ich habe es hauptsächlich für Dich geschrieben und, sowenig es mir gefällt, möchte |ich doch daß Du es liest.
Grüß’ Dich Gott, mein lieber Freund! Grüße Richard und die Frau Andreas.
Schreib’ mir bald!
Und nächstens bekommst Du den großen Brief!
Ich umarme
Dich von Herzen
Dein
 Paul Goldmann.
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