Bei der ungeheuren Überbürdung, die gleich noch ehe ich den eigentlichen Dien
st
übernommen, auf mich gefallen i
st, muß ich kurz
sein und kann keine Form für meine
An
sicht
suchen. Al
so folgendes: Der er
ste
Act i
st
schlankweg entzückend, gehört zu den be
sten er
sten
Acten, die ich kenne,
sprüht von Gei
st und Leben, enthält prachtvolle dramati
sche
Steigerungen und einen
E erbeben machenden Schluß,
i
st mei
sterhaft in der Bewältigung der Per
sonenmehrheiten, vergnüglich in der
Entwerfung der Phy
siognomien, edel und neu in den Gedanken. Ich
stelle ihn ruhig
einem
Augier zur Seite. Äußerlich habe ich einzuwenden, daß während der Hauptdialoge auf der
Bühne Clavier ge
spielt wird, was ich für einen Mangel an
sceni
scher Ge
schicklichkeit
halte. Zweiter
Act: Beginn
gut; er
stes Ge
spräch zwi
schen
Fedor und
Leo gut,
desgleichen er
stes Ge
spräch zwi
schen
Fedor und
Fanny,
|Auftreten
Fr.
Wittes guter dramati
scher
Truc.
Fr. Witte selb
st
, ver
ständlich für Dich,
mich und die gewi
ssen drei oder vier Andern; für das große Publicum zu
sehr im
Viertelprofil; der Durchschnittszu
schauer weiß nicht, was er daraus
×× machen
soll. Aber bei den
schönen gei
streichen Sachen, die der Dialog enthält,
geht die Scene vielleicht durch; nur kommen mir die Pointen zu gehäuft vor.
Zola sprach mir in
Brüssel von die
sen mit
Pointen vollge
stopften Scenen, deren dramati
sche Wirkung er bezweifelt: »
On doit avoir le temps de se moucher«,
sagt
e er. Letzte Scene
zwi
schen
Fedor und
Fanny. Da beginnt das
embrouillement. Der Zu
schauer kennt
sich nicht mehr aus. Das Ge
sicht des
Stückes wech
selt plötzlich;
statt der Gefallenen tritt auf einmal der junge Mann, die Analy
se, die Seelenzerflei
schung in den
|Vordergrund. Es kommen Motive in’s Spiel, mit einem
Ruck, unvermittelt, welche zu fein und zu atomi
sch zerfa
sert
sind, als daß das
Publicum mit
seinen groben Werktagshänden ihnen nachta
sten könnte. Das i
st
p
sychologi
sch, aber nicht mehr dramati
sch. Und wenn die Scene doch einen Erfolg hat,
so kann es nur dadurch ge
schehen, daß Mei
ster Publicus
sich das auf
seine Wei
se
zurechtlegt und, von all’
dem den p
sychologi
schen
hochf××××× Tendenzen ab
strahierend, nur den rohen Kern herausnimmt, der darin
steckt: er
will das Mädel nicht, aber das Mädel läßt nicht nach, und am End’ fallen
sie
sich
doch in die Arme. Dritter
Act.
Der hätte
sein
sollen wie der er
ste: Per
sonenmehrheiten, fe
stes Zu
sammenhalten der
Handlung und Steigerung
der H auf einen Punkt hin, wo
die Entladung mit mächtigem Ruck erfolgt; und dann Vorhang. Der Contract
|vortreffliche Idee. Aber am Schluß, nachdem man den
ganzen
Act mit all’
seinen
Fäden auf den Contract hat hinlaufen ge
sehen. Der
Aufzug fällt aber in lauter Dialoge auseinander, und die
Handlungen
sind
schichtenweis nebeneinander aufge
stellt,
statt in einem Körper
zu
sammenge
schmolzen zu
sein. Dialog zwi
schen
Wandel und
Klara –
sehr
schön an
sich, aber bringt aus der Stimmung, i
st zu lang und verläuft,
ohne in der Haupthandlung
seine Fort
setzung zu finden. Und
so weiter. Stell’ Dir das
auf der Scene vor: einen Act, einen Hauptact eines Dramas, wo Alles Wichtige, was
vorgeht, in lauter »Bei
seite«
stattfindet! Stell’ Dir vor, wie ein Act
sich ausnimmt,
wo
im die Haupt
hzahl der Per
sonen immer im
stummen Spiel im Hintergrunde oder auf der Seite
steht, während vorn immer zwei paarweis
|die
Handlung machen. Und welche Aufgabe für den Hauptdar
steller,
seine größten Scenen,
seine Leiden
schaftsausbrüche »gedämpft« vorzubringen! Welch’ ungün
stiger Abgang!
Statt nach einer starken Scene mit einem
starken Wort hinauszugehen,
schleicht er
sich von hinnen, nachdem all’
seine dramati
schen Feuer verlo
schen! Starke und
gewalt
same Mittel waren nöthig. Kein bei
seite, aus Furcht zu compromittiren,
sondern
eben die
ses Compromittiren
selb
st, ein wuchtiger Fau
st
schlag
××× in die
ses fal
sche
Milieu, in die
ses Phili
stertum
à la Wandel hinein. Mit Auf
schrei muß die
schreckliche Wahrheit aus der Bru
st
des Fedors heraus, mit Auf
schrei
muß das Mädchen die Vernichtung beantworten, Leiden
schaft gegen Leiden
schaft, zwei
Flammen, die über dem Haupte des
Stückes zu
sammen
schlagen. Schwung und Kun
st im dritten
Acte, aber
|um Gotteswillen nur hier kein Grübeln, Quälen und Vertu
schen.
Mit einem Wort: ein fertiges
Stück ist das nicht. Aber ich meine, Du ha
st auch kein Recht, zu
bean
spruchen, daß Dir ein fertiges Stück jetzt
schon gelingt. Als Weg zum Ziele i
st
es jedoch ein gewaltiger Schritt, als Talentbeweis ein glänzendes Ergebniß. Wer
die
sen er
sten
Act ge
schrieben,
i
st ein Dramatiker von Gottes Gnaden; und wer
Robert und
Ninetten erdacht, i
st ein Dichter von goldenem Herzen. Als litterari
sche
Arbeit i
st »
Das Märchen« eine
Erscheinung, wie
sie in dem letzten Jahrzehnt in der deut
schen Litteratur
so
bemerkenswerth kaum noch da war und i
st mit
Sudermann und
Hauptmann zu nennen. Dramati
sch, unter dem
|Ge
sichtspunkte der Aufführbarkeit ein
Unvollendetes, das in Kürze Vollendetes ver
spricht. Ich rathe
Dir ent
schieden ab, das »
Märchen« aufführen zu la
ssen; es gibt nur einen Weg
für Dich: weiter
schreiben. Das thut weh; aber Du ha
st noch keine Berechtigung, Dich
auszuruhen; denke,
seit wie kurzer Zeit Du er
st auf dem Wege bi
st. Und der Erfolg
be
steht für Leute wie Dich, deren Berufung außer Zweifel
steht, nur in der Frage, ob
sie nicht zu früh bequem werden. Ein neues
Stück al
so; in einem halben Jahre arbeite
st Du vielleicht
dann den dritten
Akt des »
Märchens« um, und da ha
st Du auch
da ein damit einen dramati
schen Erfolg
in petto. Daß der
Dialog von
A bis
Z voll i
st der
entzückend
sten Sachen habe ich
× wohl
schon ge
sagt. Kein einziger unter den Jungdeutschen in
Berlin oder
Wien i
st Dir das
|nachzuthun im
stande. Wie hoch
steht das »
Märchen« mit allen
seinen Fehlern z. B. über
Herzl’s Sachen! . . . .