Das i
st der Unter
schied zwi
schen Freund
schafts- und Liebescorre
spondenz: die Liebe
will Gefühle, und die Freund
schaft wird durch Gefühle auf die Dauer gelangweilt und
will That
sachen. Die
se Wochen, in denen ich Dir nicht ge
schrieben,
sollten al
so eine
kleine That
sachen-Sparbüch
se
sein; und jetzt, wo ich meine Er
sparni
sse in die
ser
Beziehung nach
sehe, finde ich nichts und kann Dir wieder nichts bieten als ein Paar
schäbige Stimmungen und Empfindungen. Der Grund für den That
sachenmangel i
st vor
Allem der, daß ich die Hautpzeit des Tages allein auf meinem Zimmer und mit meiner
Arbeit verbringe. Meine Empfehlungen habe ich wohl abgegeben, aber
sie haben zu
nichts geführt; ausge
suchte Höflichkeit überall; aber die Höflichkeit i
st ein gar
matter Wärme
spender;
sie erwärmt nicht mehr als ein flüchtiger Händedruck, und das
Herz kann dabei erfrieren. Da und dort hat man mich zum Diner eingeladen, und war
froh, als der eigenthümliche Gei
st, dem man Alles Zweimal
sagen mußte, um von ihm
ver
standen zu werden, und der
selb
st ein jämmerliches Stottern vorführte, die
|Thür hinter
sich zumachte. Ein klein wenig näher –
aber auch nichts weniger als intim – verkehr ich mit einem jungen
Manne (22 Jahre),
Erbe und
Leiter einer großen
Glasfabrik; demgemäß ein
wenig
stolz und
hautain,
aber wohlerzogen genug, um das dem ihm warm empfohlenen Fremden nicht zu zeigen. Im
Allgemeinen ein
sehr hüb
scher,
as ä
stheti
sch angenehmer
Mensch – eine Art
Boris Fanjung, nur viel feiner und hoch
stehender. Ein wenig
Kunstdilettant und reizend, wenn er
seine
naiven Pläne entwickelt »
de joindre l’art à l’industrie«. Vor Allem aber –
strenggläubiger
Katholik, der all
sonntäglich zur Me
sse geht
und
sich auf nichts in der Welt mehr freut, als auf
sein Fortleben nach dem Tode.
Dazu eine blonde, äußerlich unbedeutende,
sehr fromme,
und sehr
sanfte und
sehr kurz
sichtige
Schwester mit einem
ewigen Lorgnon und mit Redensarten wie »
Jésus es mon ami intime«. Für
stlicher Haushalt, nicht ohne Stimmung das Ganze – aber doch
ohne rechte Wärme. . . Außerdem i
st da in
Brüssel der
Chefredacteur der »
Indépendance belge« (Geograph wie Du bi
st, wir
st Du fragen,
|wie
so
Brüssel zu
Belgien kommt, aber ich kann Dir verrathen, daß es die
Hauptstadt davon i
st). Die
ser also,
M. Tardieu, i
st ein durchaus charmanter
Mensch, der einzige echte
Franzose, den ich bisher kennen gelernt,
Cavalier, unermüdlicher und gei
st
sprühender
Plauderer und profunder
Kunstkenner,
Specialist für
niederländische Malerei und enragirter
Wagnerianer. Der
Chefredacteur der »
Indépendance« i
st natürlich in
Brüssel ein großer
Mann – wenn
↓er↓ auch von dem Größenwahn der
Wiener Zeitungs
saujuden keine Spur be
sitzt – und hat
Be
sseres zu thun, als mit dem Corre
spondenten der »
Frankfurter Zeitung« zu verkehren; aber alle 8 Tage ergibt
sich doch eine
Plauder-Viertel
stunde auf
seiner
Redactions
stube, die ich dann immer höchlich angeregt verla
sse. Und dann i
st
Brüssel selb
st – elegante und
sympathi
sche
Stadt. Schöne Leute. Und vor
Allem eine große hi
stori
sche Vergangenheit – die gewi
sse gothi
sche Bettdecke, die man
sich über die
Ohr Ohren zieht, wenn man von der
Gegenwart nichts wi
ssen will.
|Viel Kunst –
herrliche alte und elende neue: Ein
Museum mit
Rubens und
Jordaens, wie ich
sie
so
schön noch nirgend ge
sehen und die mich gründlich v
or↓om↓ »Modernen« kurirt haben,
so daß ich allmälig anfange, mir die Gegenwart
abzugewöhnen. Kurzum: Eindrücke genug; aber doch der ewig wiederkehrende Grundton,
der in Alles hinein
summt:
sremd, fremd und fremd! Ach, mein liebes
Wien! . . . . .
Und zu thun habe ich! Du
selb
st wir
st zwar kaum meine Arbeiten verfolgen können, was
ich im Übrigen ganz begreiflich finde. Soviel ich mich erinnere, ha
st Du nie eine
be
sondere Vorliebe für
belgische Politik
be
se
ssen. Und was die Feuilletons anlangt, die ich
schreibe, die
soll
st Du er
st nicht
le
sen, weil
sie eh’ nichts taugen. Aber immerhin, es gibt gewaltige Arbeit. Allein
die Lectüre der 14 freitäglich er
scheinenden großen Blätter nimmt mir vier bis fünf
Stunden pro Tag. Aber die Arbeit i
st gut – Du weißt ja, nicht? – und jetzt be
sonders,
denn
sie richtet
sich als eine
spanische Wand auf, die mir das
|ewig unzufriedene, traurige und hoffnungslo
se
Ge
sicht eines eigenen Selb
st verbirgt . . . Fürchterliche
Schwierigkeiten macht mir die Sprache. Seit ich hier bin, habe ich nicht eine Sylbe
zugelernt. Und wenn man in der Regel
sagt, man
solle in ein fremdes Land gehen, um
die fremde Sprache zu lernen,
so
sage ich dementgegen aus eigener Erfahrung, daß der
Aufenthalt im fremden Land nur dazu nütze i
st, Einen von Woche zu Woche mehr zu
überzeugen, daß man von der fremden Sprache keinen Dun
st hat und nie einen bekommen
wird. . . .
Ja richtig, der Koffer! Damit i
st
es mir gut gegangen. Ich la
sse ihn in
Frankfurt
und bitte meine
Mutter, ihn
Dir zu über
senden. Meine
Mutter, die in’s Land geht, vergißt im Eifer der Rei
se. Und mein
Onkel schreibt mir die
ser
Tage: er habe mir den Koffer, den ich in
Frankfurt gela
ssen, nach
Brüssel
nachge
schickt. Ich muß al
so wohl oder übel warten
|bis der Koffer hier ankommt, und dann werde ich den Vielgerei
sten
sofort nach
Wien spediren. Sei mir nicht bö
se, bitte, deswegen!
Ha
st Du irgend einen Wun
sch, bezüglich irgend eines Gegen
standes, den man bei die
ser
Gelegenheit in
Brüssel erwerben und mit
schicken
könnte? Litteratur, Kun
st, Mu
sik, Crawatten, Eßwaren oder
so etwas? Bitte, denke
nach. Mir i
st leid darum, den Koffer leer zu expediren. . . .
Und nun bekomme ich wohl einen recht langen Brief? Befinden, Arbeiten, Verkehr,
Stimmung, Sommerpläne, Tages- und Abendeintheilung
etc. Ich
bin heißhungrig nach jedem Bi
ssen Neuigkeit von Dir, von
Wien und den anderen Freunden. »
Es« i
st in
Brünn? Und
Madame Olga? Ich kann Dir
sagen, die echten
Mondainen, die man hier sieht,
sehen doch noch ganz anders aus. . . Bitte grüße vielma
ls
Kapper,
Beer-Hofmann und
Loris. Und
sei Du
selb
st gegrüßt, von Herzen und in Treue!