Dein Brief als er
sten Freundesgruß i
m↓n↓ fremder
Stadt – das
hat mir aufrichtig wohlgethan. Sei von Herzen bedankt für Deine Treue! . . . Wenn ich Dir von unterwegs eine Karte
schickte,
so
geschah das nicht, um Dir zu
schreiben,
sondern um Dir einen Beweis zu geben, daß ich
mitten im
Wirrwar der neuen Eindrücke und im Fieber der Arbeit
Deiner denke. Das war eine harte Zeit – die
se
sechs Tage
. Morgens
in der Regel um fünf Uhr auf
stehen, um die Bergleute noch vor der Einfahrt in den
Schacht zu
sehen,
stundenlang im glühenden Sonnenbrand über
staubige Chau
sséen wandern,
sich täglich von
vertrackten Localbahnen das Herz aus dem Leibe
schütteln la
ssen, und Abends, todtmüde, den Bericht
schreiben (um ihn dann
), einige Tage
später, elend zu
sammenge
strichen oder
gar nicht im
Blatte zu
finden). Endlich
in bin ich heut nach
Brüssel gekommen; aber
sei es nun die Nervenreaction gegen die
Überan
strengung der letzten Tage,
sei es das Erwachen des Bewußt
seins aus dem Rau
sche
der Arbeit – ich fühle mich todtenbang und p
sychi
sch elend. Und als ich Deinen Brief
las, war es ein veritables tiefes, tiefes Heimweh nach
Wien, das mir durch das Herz
schnitt,
|wie
nur ein Heimweh
schneiden kann. Und es war nicht blos ein Heimweh nach
Wien,
sondern eine Sehn
sucht nach der be
sseren Welt
dort, die ich auf immer verloren. Du kenn
st ja meinen Neid mit der umgekehrten
Spitze, der
sich nicht gegen den Andern
sondern gegen mich
selb
st kehrt. Und
so war
es mir ein gar bitteres Gefühl, als ich von Deinen Erfolgen las, daß ich
so ganz aus
der Reihe Jener geri
ssen bin, die nach dem hohen Ziele
streben, das nicht mehr das
de meine
sein darf. Wir
sind eine Zeitlang Seite an Seite gewandert; jetzt bin
ich an einem Stein am Wege unterwegs
stehen geblieben und
sehe Dir wehmüthig nach,
wie Du empor
steig
st. Das i
st die Schlacke, die meine Empfindung der Freude an deinen
Erfolgen auf
setzt; wir
sind eben Alle keine Men
schen der reinen Empfindungen; vom
Herzen, dem d
a↓ie↓s Gefühl ent
strömt, tropft immer ein wenig Ich mit hinein. Ich
sage Dir das
eigentlich nur, um auf der andern Seite das Recht zu haben, von der warmen
Aufrichtigkeit meiner Mitfreude zu
sprechen. Nur
so weiter! Stark und tapfer! Und ich
habe nur einen Wun
sch für Dich: daß
al Dir
gelingen die Kraft werde, all’ das Schöne
aus Dir herauszuarbeiten, was – meiner fe
sten Überzeugung nach – in Dir
steckt. Die
Kritiken
schick
st Du mir wohl alle; Du bekomm
st
sie pünktlich zurück; eben
so werde
ich Dich, wenn ich mich er
st ein wenig eingearbeitet und mir Zeit genommen habe, um
alle
drei Acte des
Stückes
|
bitten. Desgleichen
soll
st Du mir
bald Folgendes schreiben: 1.) wie Du Deinen Tag
verbring
st, mit genauer trockener Aufzählung der regelmäßigen Be
schäftigung von Früh
bis Abend 2.) ob
Schwarzkopf dein
Stück
bereits gele
sen hat? 3.) ob Du noch mit
Jung-Wien verkehr
st? 4.) ob Du noch zu
Fanjung’s komm
st? 5.) wer jetzt Deinen haupt
sächlichen
Verkehr bildet? 6.) was
Olga macht? 7.) was Du lie
st? und 8.) was Du zu
schreiben gedenk
st? –
j
a richtig und 9.) noch was Du für den Sommer vorha
st? Du wir
st zwar nach Beantwortung all’ die
ser Fragen
so er
schöpft von der An
strengung
sein, daß Du wir
st eine einwöchentliche
Kaltwa
sserkur gebrauchen mü
ssen (Briefka
stenwitz) – aber Du thu
st mir’s
wohl aus alter Freund
schaft.
Meinen gegenwärtigen Lebensinhalt wir
st du wohl aus dem, was am Eingang dieses
Briefes
steht, zur Genüge erkennen.
Brüssel sagt
mir vorläufig gar nichts – es
sei denn, daß es eine un
säglich theure
Stadt i
st und daß ich keine Ahnung habe, wie
ich hier mit meinem kleinen Gehalt und meinen großen Schulden leben
soll. Große
Sorgen machen mir ferner die äußer
st verzwickten politi
schen Verhältni
sse, in die
mich einzuarbeiten ich Monate Zeit haben müßte, während man
|mein
sofortiges Treten in Action verlangt
sowie
meine Unkenntniß im Franzö
si
schen. Meine Fähigkeit zu ver
stehen i
st gleich Null; und
wenn es noch vier Grad weniger gibt als Null,
so bezeichnet die
ses meine Fähigkeit
mich ver
ständlich zu machen. Von
selb
st wird das nicht kommen; Alle lügen, die
sagen,
man lerne die Sprache durch einen Aufenthalt im fremden Lande von
selb
st; und Zeit
zum Studiren habe ich ab
solut nicht. Zwei Eigenthümlichkeiten von
Belgien sind mir be
sonders ins Auge gefallen: es i
st ein
Land, in dem es keine
Zahn
stocher gibt, und in dem man die Thürklinken durch einen Druck von unten nach
oben öffnet. Außerdem
sind die Kellner hier von einer unerhörten Unhöflichkeit und
Schlamperei, und ich muß oft an Dich denken, der Du – nachdem Du mit Kellnern keinen
Spaß ver
steh
st – läng
st einem die
ser Kerle ein Me
sser in den Leib ge
stoßen haben
würde
st, hoffentlich gewinnen die Dinge ein freundlicheres Aus
sehen für mich. Heut komme ich mir – wie nie vorher – vor wie in der
Verbannung, und alle meine Wün
sche regen
sich, um die
sen Brief zu begleiten in das
trauliche, von Cigarettendampf
erfüllte Zimmer mit dem Divan, in de
ssen reichen und coquett geordneten Ki
ssen es
sich
so weich ruht und von dem man einen Ausblick hat auf das »Pfühl« im Alkoven und die Land
schaft mit dem unglaublichen Mond darüber. . . Gott grüße Dich,
mein lieber kleiner Arthur! Ich umarme Dich in alter Freund
schaft und drücke Dir
beide Hände dazu.
Empfiehl’ mich den Deinen! Die Meinigen haben Dich
|mehreremale grüßen la
ssen, aber ich habe immer
verge
ssen, Dir’s zu
schreiben. . .
À propos: wenn Du Herauskriegen könnte
st, warum mir der Schurke, der
Beer-Hoffmann, nicht
schreibt wäre ich Dir
sehr dankbar.