Chef-Redacteur: Dr. F.
Mamroth. – Redaction: IX.,
Berggasse 31.
Pörtschach Wien, den 18. August
1890.
Mein lieber Arthur!
Viel Dank für Deinen lieben Brief! Ich habe mich ehrlich damit gefreut, wenig
stens
in
soweit, als ich
sehe, daß Du meiner in Treuen gedenk
st. Was Dich angeht, freilich –
die Nachrichten über Deine Per
son, die die Epi
stel bringt, – bin ich wenig zufrieden.
Wenig – nein, gar nicht! Kind, Kind –
sei ge
scheit! Laß’ Dich nicht
so willenlos
untergehen in der Ge
schichte! Fühlen, Stimmung
empfinden i
st gut; aber ein wenig Denken und Wollen i
st auch vonnöthen. Du brauch
st
kein ra
sches Ende – pardon! – zu machen; aber
da das Ende von
selbst kommen wird,
|wäre es Wahn
sinn,
sich nicht bei Zeiten damit
abzufinden. Jetzt ha
st Du das
Mädel –
bon! – aber wenn Du das
Mädel nicht mehr ha
st, wir
st Du etwas viel Be
sseres wieder haben – Dich
selb
st. Der Tau
sch i
st, weiß Gott, kein
schlechter. Überleg’ Dir das! Und denk’ nur
an meine Spießbürger-Philo
sophie, die aber doch die einzig ge
scheite i
st: der Men
sch
i
st nicht zum Lieben allein da. Die
ses Taumeln von Rau
sch zu Rau
sch,
d
ie
ses Selb
stzerquälen um ein Nichts i
st verderblich und
zerrüttend. Be
sonders die
se Quälereien. Ich
sehe das
so klar: in Dir i
st eine große
Kun
st vorhanden, und da Du
sie nirgends hin ableite
st, kehrt
sie
sich gegen Dich
selb
st. Die
se Eifer
sucht auf die
Vergangenheit
i
st vielleicht nichts, als die Eifer
sucht
der
Vergangenheit,
Deiner Vergangenheit, jener Stunden,
in denen Du ge
schafft und ge
strebt ha
st, jener hohen Ziele, denen Du zuge
staunt, und
die Dich jetzt wieder haben wollen. Nun,
sie
werden
Dich wieder haben; und ich, der ich Dein Be
stes
sehe und will, kann das »Ende« nicht
erwarten. Übrigens, glaube ich, es wird Dir nicht gar
so weh thun. Die
se tollen
Schmerzen, die Du vorausempfinde
st,
|stumpfen das
Empfindungsvermögen ab,
so daß es
sicherlich gegenüber dem großen Schmerze, wenn er
wirklich eintritt, ver
sagen wird. Al
so, nochmals,
sei ge
scheit: Du leb
st in
Capua,
und mußt
sroh
sein, wenn Du herauskomm
st. Oder, wenn Du will
st, Du bi
st im Paradie
se;
aber, als
srommer
Bibelle
ser,
ist d weißt Du, daß wir Alle da nicht hineingehören; und Du wir
st Dich doch wieder
mit der Erde befreunden mü
ssen, auf der zu leben
schließlich auch nicht ohne Reiz
i
st.
Dies die Moralpredigt eines Men
schen, der
selbst nichts dringender brauchte, als eine
solche. In Kurzem: auch mich hat’s wieder, mein Sohn! Das
süße
Mädel – ge
scheit, wahrhaftig und nicht coquett, das ich
so lange mit der Laterne ge
sucht – mir
scheint, ich hab’s gefunden. Seit ge
stern
sind in mir
wieder alle Teufel los. Und ich
sehe, es wird wieder genau die alte Ge
schichte. Eine
wahn
sinnige Sehn
sucht, das erblickte Glück zu fa
ssen, ein toller Ge
sühlsüber
schwang,
ein Mich-Unwürdig-Fühlen gegenüber der
Auserwählten – die
se drei Sachen, die es mir
schon einmal
verdorben haben, werden es mir wieder verderben. Da
steh’ ich
|nu
n mit meinem weltumfa
ssenden
Gei
ste, und kann das prakti
sche Problem nicht lö
sen, wie ich ein kleines
Mädchenherz lehren
soll, mich
gern zu haben. Dich quält das bevor
stehende Ende des Glücks, mich bringt es zur
Verzweiflung, daß ich
seinen Anfang nicht herbeiführen kann. So bin ich ge
stern Abend ge
se
ssen, den Kopf in beide Hände ge
stützt und die Stirne heiß von
Rau
sch und Sehn
sucht, und es hat in mir gewühlt und gewühlt und ich habe ge
sehen, daß
ich ein hoffnungslos unglücklicher Men
sch bin. Hab’ ich’s al
so wieder einmal mit dem
Beten ver
sucht – Du weißt, ich gedenke gern des lieben Gottes, wenn ich ihn brauche –
und warte nun ab, ob mir das vielleicht nutzen wird. Ich habe mir bei alledem
so heiß
gewün
scht, Du zu
sein, mit all' Deinen Reizen und
Lüsten Li
sten, Du, der Du die große Kun
st ver
steh
st: geliebt zu werden. Vielleicht
theil
st Du mir ein oder das andere
arcanum mit. Wie
ge
sagt: mir
scheint, ich habe das Richtige gefunden, und ich wäre außer mir vor
Schmerz, wenn ich es wieder nicht fa
ssen könnte.
That
sächliches – unter Discretion, würde
Fritz Kapper sagen. Das Richtige heißt:
|Lisi Pserhofer,
Tochter des bekannten
Apothekers, Familie
Mautner,
Ernst etc. Noch i
st es mir nicht gelungen, in den intimen Kreis
die
ser Leute einzudringen, die
sich hier vollkommen re
servirt verhalten
, und den einzig er
strebenswerthen Verkehr
di reprä
sentiren. Kenn
st du nicht die beiden
Mautner’s
, Hans und
Stephan? Und kann
st Du mir nicht ein wenig helfen? Den Leuten ein Wort
schreiben, daß
ich ein an
ständiger Men
sch bin ober
so was?
Max Rosenberg kennt
sie, wie mir
scheint,
sehr gut; aber der i
st wohl nicht in
Wien. Das
sind nur
so akademi
sche Fragen. Ich
sehne
mich nach irgend einer Hilfe von Außen, da ich mich
selb
st
so unendlich
schwach
fühle. Oder kenn
st Du das
|Mädel selber und weißt etwas
von ihr? Vielleicht etwas Ungün
stiges? Noch wäre es Zeit,
sich die Ge
schichte aus dem
Herzen zu reißen.
Son
st wimmelt der
Ort wohl von Men
schen, aber es i
st Alles das
gewöhnliche Bör
senjuden-Niveau, blöd, frech, un
sympathi
sch, die Land
scha
st i
st
großartig, aber Du weißt, wie
sehr ich auf
»die
Land
schaft
« pfeife, wenn ich nicht bei ihrem Anblick am Abend
eine weiche Hand drücken kann und dabei
sagen: »Süßes Mädel!«
Gele
sen: die
Kreutzer-Sonate. Kriti
sch
großartig
e, das Po
sitive aber wahn
sinnig und pervers. Aber Alles in Allem ein echter
Tolstoi und höch
st le
senswerth. Son
st nichts. Ge
schrieben auch nichts. Von der »
Presse« höre ich allerlei Sorgenvolles.
Granichstaedten soll fortgehen, und man
sucht einen Er
satz, aber nicht mich. Hierbleiben werde
ich
so lange als möglich, zuminde
st eine Woche. Könnte
st du nicht auf einen Sprung
herkommmen? Jedenfalls
sch schreib’ mir bald über all’ das
Wichtige, das ich Dich gefragt. Wieder
Poste restante.
|Viele herzliche Grüße an
Herrn und
Frau Fritz. Eben
so an Dich!
Dein
Paul Goldmann.
Empfehlungen an Deine
n Schwester und deinen
Schwager, die
sich wie
befinden?
Bitte, antworte rasch! Mir scheint übrigens, ich hab’ das schon oben irgendwo
gesagt.
Unter Discretion:
Pörtschach liegt in
Kärnthen.