Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 18. 8. 1890

Chef-Redacteur: Dr. F. Mamroth. – Redaction: IX., Berggasse 31.
Pörtschach , den 18. August 1890.

Mein lieber Arthur!

Viel Dank für Deinen lieben Brief! Ich habe mich ehrlich damit gefreut, wenigstens insoweit, als ich sehe, daß Du meiner in Treuen gedenkst. Was Dich angeht, freilich – die Nachrichten über Deine Person, die die Epistel bringt, – bin ich wenig zufrieden. Wenig – nein, gar nicht! Kind, Kind – sei gescheit! Laß’ Dich nicht so willenlos untergehen in der Geschichte! Fühlen, Stimmung empfinden ist gut; aber ein wenig Denken und Wollen ist auch vonnöthen. Du brauchst kein rasches Ende – pardon! – zu machen; aber da das Ende von selbst kommen wird, |wäre es Wahnsinn, sich nicht bei Zeiten damit abzufinden. Jetzt hast Du das Mädelbon! – aber wenn Du das Mädel nicht mehr hast, wirst Du etwas viel Besseres wieder haben – Dich selbst. Der Tausch ist, weiß Gott, kein schlechter. Überleg’ Dir das! Und denk’ nur an meine Spießbürger-Philosophie, die aber doch die einzig gescheite ist: der Mensch ist nicht zum Lieben allein da. Dieses Taumeln von Rausch zu Rausch, dieses Selbstzerquälen um ein Nichts ist verderblich und zerrüttend. Besonders diese Quälereien. Ich sehe das so klar: in Dir ist eine große Kunst vorhanden, und da Du sie nirgends hin ableitest, kehrt sie sich gegen Dich selbst. Diese Eifersucht auf die Vergangenheit ist vielleicht nichts, als die Eifersucht der Vergangenheit, Deiner Vergangenheit, jener Stunden, in denen Du geschafft und gestrebt hast, jener hohen Ziele, denen Du zugestaunt, und die Dich jetzt wieder haben wollen. Nun, sie werden Dich wieder haben; und ich, der ich Dein Bestes sehe und will, kann das »Ende« nicht erwarten. Übrigens, glaube ich, es wird Dir nicht gar so weh thun. Diese tollen Schmerzen, die Du vorausempfindest, |stumpfen das Empfindungsvermögen ab, so daß es sicherlich gegenüber dem großen Schmerze, wenn er wirklich eintritt, versagen wird. Also, nochmals, sei gescheit: Du lebst in Capua, und mußt sroh sein, wenn Du herauskommst. Oder, wenn Du willst, Du bist im Paradiese; aber, als srommer Bibelleser, weißt Du, daß wir Alle da nicht hineingehören; und Du wirst Dich doch wieder mit der Erde befreunden müssen, auf der zu leben schließlich auch nicht ohne Reiz ist.
Dies die Moralpredigt eines Menschen, der selbst nichts dringender brauchte, als eine solche. In Kurzem: auch mich hat’s wieder, mein Sohn! Das süße Mädel – gescheit, wahrhaftig und nicht coquett, das ich so lange mit der Laterne gesucht – mir scheint, ich hab’s gefunden. Seit gestern sind in mir wieder alle Teufel los. Und ich sehe, es wird wieder genau die alte Geschichte. Eine wahnsinnige Sehnsucht, das erblickte Glück zu fassen, ein toller Gesühlsüberschwang, ein Mich-Unwürdig-Fühlen gegenüber der Auserwählten – diese drei Sachen, die es mir schon einmal verdorben haben, werden es mir wieder verderben. Da steh’ ich |nun mit meinem weltumfassenden Geiste, und kann das praktische Problem nicht lösen, wie ich ein kleines Mädchenherz lehren soll, mich gern zu haben. Dich quält das bevorstehende Ende des Glücks, mich bringt es zur Verzweiflung, daß ich seinen Anfang nicht herbeiführen kann. So bin ich gestern Abend gesessen, den Kopf in beide Hände gestützt und die Stirne heiß von Rausch und Sehnsucht, und es hat in mir gewühlt und gewühlt und ich habe gesehen, daß ich ein hoffnungslos unglücklicher Mensch bin. Hab’ ich’s also wieder einmal mit dem Beten versucht – Du weißt, ich gedenke gern des lieben Gottes, wenn ich ihn brauche – und warte nun ab, ob mir das vielleicht nutzen wird. Ich habe mir bei alledem so heiß gewünscht, Du zu sein, mit all' Deinen Reizen und Listen, Du, der Du die große Kunst verstehst: geliebt zu werden. Vielleicht theilst Du mir ein oder das andere arcanum mit. Wie gesagt: mir scheint, ich habe das Richtige gefunden, und ich wäre außer mir vor Schmerz, wenn ich es wieder nicht fassen könnte.
Thatsächliches – unter Discretion, würde Fritz Kapper sagen. Das Richtige heißt: |Lisi Pserhofer, Tochter des bekannten Apothekers, Familie Mautner, Ernst etc. Noch ist es mir nicht gelungen, in den intimen Kreis dieser Leute einzudringen, die sich hier vollkommen reservirt verhalten und den einzig erstrebenswerthen Verkehr repräsentiren. Kennst du nicht die beiden Mautner’s Hans und Stephan? Und kannst Du mir nicht ein wenig helfen? Den Leuten ein Wort schreiben, daß ich ein anständiger Mensch bin ober so was? Max Rosenberg kennt sie, wie mir scheint, sehr gut; aber der ist wohl nicht in Wien. Das sind nur so akademische Fragen. Ich sehne mich nach irgend einer Hilfe von Außen, da ich mich selbsso unendlich schwach fühle. Oder kennst Du das |Mädel selber und weißt etwas von ihr? Vielleicht etwas Ungünstiges? Noch wäre es Zeit, sich die Geschichte aus dem Herzen zu reißen.
Sonst wimmelt der Ort wohl von Menschen, aber es ist Alles das gewöhnliche Börsenjuden-Niveau, blöd, frech, unsympathisch, die Landschast ist großartig, aber Du weißt, wie sehr ich auf »die Landschaft« pfeife, wenn ich nicht bei ihrem Anblick am Abend eine weiche Hand drücken kann und dabei sagen: »Süßes Mädel!«
Gelesen: die Kreutzer-Sonate. Kritisch großartig, das Positive aber wahnsinnig und pervers. Aber Alles in Allem ein echter Tolstoi und höchst lesenswerth. Sonst nichts. Geschrieben auch nichts. Von der »Presse« höre ich allerlei Sorgenvolles. Granichstaedten soll fortgehen, und man sucht einen Ersatz, aber nicht mich. Hierbleiben werde ich so lange als möglich, zumindest eine Woche. Könntest du nicht auf einen Sprung herkommmen? Jedenfalls schreib’ mir bald über all’ das Wichtige, das ich Dich gefragt. Wieder Poste restante.
|Viele herzliche Grüße an Herrn und Frau Fritz. Ebenso an Dich!
Dein
 Paul Goldmann.
Empfehlungen an Deine Schwester und deinen Schwager, die sich wie befinden?
Bitte, antworte rasch! Mir scheint übrigens, ich hab’ das schon oben irgendwo gesagt.
Unter Discretion: Pörtschach liegt in Kärnthen.
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar