Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 28. 11. 1894

|Frankfurter Zeitung. Paris, 28. November.
Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour.
Bureaux à Paris:

Mein lieber Freund,

Ich danke Dir von Herzen für die Übersendung von »Sterben«. Als ich den Schluß las, hatte ich das Gefühl, daß sich der durch die verfluchten Fortsetzungen unterbrochene Strom wieder herstellte. Der große Schauer kam – Ergriffenheit und Entzücken. Das Sterben ist meisterhaft geschildert. Mich stört nur das Erwürgen, – dieses plötzliche Verfallen in die kriminalistische Brutalität, nachdem vorher Alles eitel Freiheit, Seele, Stimmung gewesen. Ich glaube, das |hätte zweiselhaft bleiben müssen. Vielleicht stellte sich das die überhitzte Phantasie des Mädchens nur so vor? Vielleicht wollte er sie umarmen? Mir stört das noch rückwärts etwas das Bild des Unglücklichen. Er soll Einer sein, der leidet, bis zum Schluß. Das Handeln isso unheimlich, so gegen seine Natur. Der erwürgt nicht, glaub’ mirs. Er weint nur, weil sie nicht mit ihm sterben will, das Sterben selbst wird ihm dadurch zur noch größeren Qual, er wird noch mehr leidend zum Schluß. So denke ichs mir. Und |das Alles könnte erreicht werden, wenn nur ein einziger kleiner Satz am Schlusse gestrichen würde, wo das Mädel es klar sagt: »Er hatte sie erwürgen wollen.«
Vielleicht habe ich übrigens Unrecht. Denn ich habe das Buch mit überscharfer Kritik gelesen, weil ich Dir selbst gegenüber ein unparteiisches zu fällen mich verpflichtet fühlte und stets auf der Lauer war, um nicht von meiner Freundschaft überrumpelt zu werden. Sonst ist es wohl gelungen, das Buch – schön und reich. In der Literatur |weist es Dir, meiner Ansicht nach, einen Platz neben d’Annunzio an; nur ist Deine Art etwas blasser, weniger raffinirt, sanfter, als die seine. Laß’ Dich von Herzen beglückwünschen.
Ich habe sofort Schritte gethan, um Dir eine Besprechung in der Pariser Presse, und zwar in der großen, zu verschaffen. Ich bin zum »Journal des Débats« gegangen und habe Sturm geläutet über die Wiener Literatur. Pierre Lalo, ein charmanter und feinsinnger College, hat mir Besprechungen versprochen. Ob ers halten |wird, weiß ich nicht. Jedenfalls schicke ihm ein Buch und schreibe hinein: À Monsieur Pierre Lalo, hommage de l’auteur, mit Deiner Unterschrift. Ebenssoll Richard ihm sein Buch schicken. Er wohnt 19. Boulevard de Courcelles, Paris. Unter keinen Umständen aber bitte ich Bahr die Adresse zu geben. Ich will nicht, daß er sich durch meine Vermittelung in der Pariser Presse lancirt. Sei mir nicht böse: »Ich weiß es wohl, es ist ein Vorurtheil etc.«.
|Bei der »Frankfurter Zeitung« habe ich gestern Schritte gethan. Ich hoffe, diesmal wird Alles glatt gehen. Hast Du die liebenswürdige Erwähnung Deines Namens durch Uhl in seinem Briefe über das Stück von Lubliner gelesen?
Ich wünschte nur, daß ich Dir auch in den Schritten für Dein Stück behilflich sein könnte, um Dir ein wenig von dem Passionswege zu ersparen. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie ich eingreifen könnte, finde aber nichts. Oder glaubst Du vielleicht, daß |Uhl etwas in der Sache thun könnte? Dann schreib’ mir darüber, und ich wills unternehmen. Jedenfalls wiederhole ich Dir von Neuem: laß’ Dich nicht niederdrücken und entmuthigen. Die Schwierigkeiten waren vorauszusehen. Wenn man ein Stück nur zu schreiben und einzureichen brauchte, um es aufgeführt zu sehen, so wäre es ein Vergnügen, Theaterdichter zu sein. Außerdem bringst Du Neues, das heißt etwas Anti-Dummes, folglich hast Du die Dummheit gegen Dich. Das ist doch ganz natürlich. Aber man findet schon Mittel, |um mit der Dummheit fertig zu werden. Nur Zeit, Geduld und Geschick gehört dazu. Mit diesen drei Kampfmitteln mußt Du Dich unter allen Umständen ausrüsten. Ich bin überzeugt, Du wirst am Ende durchdringen, und zwar gerade beim Burgtheater. Laß’ Dich also nicht verstimmen. Denk’ auch an den schönen Haß und Hohn, den diese Erfahrungen in Dir aufhäufen und der befruchtend wirken wird für spätere Werke. Und, bitte, mach’ mir nach wie vor von jedem weiteren Vorkomniß Mittheilung. Speidel? |Vielleicht. Wenn Gott will, schießt ein Besen. Und die Erfahrung lehrt, daß hier und da ein Besen schon geschossen hat. Man verleumdet den lieben Gott, wenn man so ganz seine Existenz leugnet. Ein wenig existirt er doch, auch für junge Poeten.
Dringend bitte ich Dich, mich bei Frl. Sandrock zu entschuldigen. Ich schreibe ihr, sobald ich einen sreien Augenblick habe.
Herr Sokal soll gut aufgenommen werden, |um dessentwillen, von dem er kommt, und, wenn er will, auch seinetwegen.
Wie geht die »Zeit«? Und was sagst Du dazu?
Unter Discretion: Ich höre, daß Benedict Erkundigungen über mich einzieht. Natürlich werde ich nie an Herzls Stelle kommen, schon weil Herzl dagegen ist, und aus andern Gründen. Aber kennst Du zufällig Jemanden, der dem hochmögenden Herrn, natürlich mit unendlicher Vorsicht, in einem Gespräche gelegentlich mittheilen könnte, |daß ich ein großer Mann bin? Um nicht Alles unversucht zu lassen!
Die gütigen Worte, die Du über mich schreibst, haben mich tief bewegt. Was ich an Dir habe, weiß ich längst; aber es thut wohl, es wieder einmal zu fühlen. Wie sich mein Bild bei Andern malt, sehe ich täglich und stündlich, und diese Erfahrungen sprechen schreienden, brüllenden Hohn zu Deinen lieben Zeilen. Wenn ich Dein Buch lese und dann an meine Thätigkeit denke – |es ist beinahe komisch. Nein, ehrlich gesagt, das ist es nicht: es ist traurig . . . .
Du erhälst anbei ein paar kuriose Artikel aller Art.
Was soll ich mit den 30 Francs 30 ct. machen, die ich Dir schulde? Du setzest mich einer starken Versuchung aus. Ein Anderer hätte sie längst unterschlagen. Ich sehe mit Befriedigung, wie ehrlich ich bin.
Grüße, bitte, Mutter, Bruder und Schwägerin.
In alter Treue
Dein
Paul Goldmann.
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