Marie Herzfeld an Arthur Schnitzler, 7. 8. 1896

|Grundlsee, 7. Aug. 96

Sehr geehrter Herr Doktor!

Im dänischen Blatt »Politiken« v. 5. Aug. steht ein Artikel von Georg Brandes »Zwei Vorstellungen Heinrich IV«, in welchem folgende Stelle sich findet: »Unter den Stücken, die ich da (›Deutsches Theater‹ in Berlin) mit vollendeter Kunst dargestellt sah, nenne ich das bewunderungswürdige östreichische Trauerspiel ›Liebelei‹ von Arthur Schnitzler, demjenigen |unter allen östr. Dichtern, dessen Talent am eigentümlichsten und sichersten ist.« Ich weiß, dass dieser Ausspruch, den ich lieber genau als elegant zu übersetzen bemüht war, Ihnen Freude machen wird; denn man mag von Brandes denken, wie man will – ich gehöre nur sehr bedingt zu seinen Bewunderern, – er ist ein geistvoller Mensch mit sehr sicherem Instinkt für das, was durchdringen wird, u. er hat eine so umfassende Kenntnis der modernen Erscheinungen, dass von ihm be|merkt und »bewundert« zu werden etwas Auszeichnendes hat. Nach diesem kann es Ihnen wol höchstens als anmaßend scheinen, wenn ich Ihnen meine Eindrücke von Ihrem Stück, das ich – durch ein Trauerjahr und eine vielmonatliche Krankenpflege auch noch diesen Winter verhindert – erst im Mai od Juni vor unserer Abreise sah, eingehend schildere.
Ich will nicht behaupten, dass es im Ganzen über Ihren Anatol Scenen steht; damit bewundere ich aber nur Anatol. Gewiss sind Sie mit dieser Arbeit in |die erste Linie deutscher Bühnenschriftsteller gerückt – obwol Ihr Talent darin noch novellistisch gestaltet, bei allem Gefühl für das Theatralische in besserem Sinn. Ich habe mir Ihre Erzälungen hieher mitgenommen und hoffe sie hier in ein paar ruhigen Stunden zu lesen.
Mit besten Wünschen für Ihre Arbeiten,
Marie Herzfeld
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