Marie Herzfeld an Arthur Schnitzler, 23. 8. 1899

|Steg 7 Hallstättersee 4
d. 23. Aug. 1899

Geehrter Herr Doktor!

Verzeihen Sie, dass ich mich telegraphisch an Sie wende – ich vermute Sie unter den obwaltenden Umständen in Ischl und habe keine Seele dort, die mir sympathisch genug wäre, um sie anzurufen. Ich bin seit etwas über 3 Wochen hier, bin mehreremale gelegen u. war bisher wenig |wol, dass ich mich zu einem Besuch in Ischl nicht aufraffen konnte, ja, eine Ansage bei Freunden daselbst zweimal telegraphisch absagen musste. Von unserer verehrten Marie Schey wusste ich seit Monaten gar nichts, hatte sie vor ihrer Abreise nicht mehr sehen können, schreibe ihr auch sonst nicht. Da ich aber auch etwas von ihr wissen wollte, |schrieb ich an sie vorgestern einen Brief voll von meinen, doch eigentlich nicht tiefgehenden Leiden u. erhalte als Antwort folgende »sneering words« von Herrn Al. Spitzer: »Spät erkundigen Sie sich um Tante Marie; sie liegt in Agonie.« Stellen Sie sich mein Entsetzen vor, da ich von nichts wusste. Mein erster Gedanke war: hinüberfahren. Da ich |jedoch keinesfalls mich einer Beleidigung von Seite der Menschen aussetzen möchte, die sich als allein berechtigt ansehen, die Umgebung der mir theuern Frau zu bilden u. denen ich seit Jahren ausgewichen bin, so bleibt mir nichts übrig als dies Wort an Sie, das, fürchte ich, schon zu spät kommt. Mit vielem Dank für jede Auskunft
grüße Sie aufs beste
Marie Herzfeld
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