Hermann Bahr an Arthur Schnitzler, 20. 3. 1930

Mein lieber Arthur!

Woltun bringt Zinsen, aber ich bin undankbar genug, Dir die Wohltat, die mir Dein lieber Brief erweist, übel zu vergelten: durch Jammern über mein Münchener Ungemach. Du fragst, warum wir nach München übersiedelten. Wir waren Beide »stellungslos«, als ich zur Leitung des Burgtheaters berufen wurde – viel zu spät, um noch etwas künstlerisch leisten oder doch retten zu können. Um diese Zeit begann auch die österreichische Währung schon zu wanken. Das bischen »Vermögen«, das mir mein Vater hinterlassen hatte, begann zu schmelzen; der Rest ging dann bei der deutschen Inflation vollends auf. Ganz unverhofft ging da an meine Frau der Ruf, an der Münchener Akademie eine Professur anzunehmen, sie griff mit beiden Händen zu, wir waren die Sorge los, wovon wir morgen unser Mittagmal |bestreiten sollten; nach einer Reihe von Jahren erhält meine Frau als Pension ihren vollen Gehalt. An sie kam übrigens auch ein Ruf an die Berliner Musikhochschule, den sie natürlich ausschlug, weil Berlin noch weiter von ihrem unvergeßlichen Wien ist als München. Mir persönlich ist es im Grunde wurscht, in welcher Stadt ich lebe, ich würde schließlich auch auf dem Monde ganz gemütlich leben können. Es fällt mir nur schwer meine Frau sich so von Sehnsucht nach Wien verzehren zu sehen. Ich sprach vor einigen Jahren mit dem Prälaten Seipel, den ich sehr lange kenne, über die Möglichkeit einer Berufung meiner Frau nach Wiensei’s auch nur in der Form, daß sie zwei Mal im Jahre, jedes Mal drei Wochen, Lehrkurse an der Wiener »Hochschule und Akademie für Musik und darstellende Kuns halten sollte. Seipel ließ mir dann sagen, der betreffende »Akt« liege schon im Unterrichtsministerium. Dort liegt er offenbar noch heute. »Segens so heiter ist das Leben in Wien
Verzeih die lange EpistelDeinem getreuen
Hermann
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