mein lieber und verehrter Freund, den Empfang Ihres Briefes vom
10. Dezember will ich gleich mit dem herzlichsten Dank bestätigen.
Denken Sie,
mit der gleichen Post kam Ihr
Julius Caesar – vom Verleger
↓(Reiss)↓ übersandt, zugleich mit dem
dritten Band der neuen Ausgabe der
Hauptströmungen. Also – dieser
Caesar
ist ohne Ihre Autorisation in
Deutschland
erschienen? Aber
Voltaire,
Michel Angelo,
Goethe – das
sind doch autorisirte deutsche Ausgaben? Bitte sagen Sie mir ein Wort darüber. Ich
erkundigte mich im vergangenen Frühjahr – anläßlich meiner Bestätigung der
eingetroffenen anderen Brandes Bände, –
↓bei Reiss↓ für wann der
Caesar zu erwarten sei – er
erwiderte, d
ss er ihn gleich nach Erscheinen an mich senden werde – das hat er
|nun gethan – und
Sie sollten erst durch mich authentisches von diesem deutschen
Caesar erfahren – u hatten nicht einmal Honorar
erhalten??
– Die Angelegenheit irritirt mich vielleicht darum ein bißchen mehr, weil ich immer
wieder so arge und ärgerliche Dinge mit meinen Büchern im Ausland erlebe. Noch nie
ist der Diebstahl, jeder Raub am geistigen Eigenthum so schamlos betrieben worden
als
jetzt! Man muss Mahnbriefe schreiben, Prozesse führen – oh nicht nur ins Ausland; –
auch in nächste Nähe, – verschwendet Zeit und Geisteskraft an geschäftliche
Correspondenzen – und erreicht so wenig! – Aber genug davon. –
Es freut mich, d
ss Ihnen die
Kom. der Verführung
einigen Spa
ss gemacht hat und d
ss Sie mir die Palmen, die ich in
Gilleleje wachsen
|lie
ss,
nicht übel genommen haben – (im
Gegensatz zu einer Landsmännin (und entfernten Verwandten) von Ihnen glaub ich), der
Frau
Karen Stampe Bendix, die ich manchmal sehe
– und die eine reizende kleine
Tochter – Tänzerin hat.) Das
Stück hat es ziemlich schwer und wird sich – wie es mit
meinen meisten Stücken geht – von meinen allerersten abgesehen, – nur allmälig
durchsetzen. Die Verlogenheit der Kritik in »moralischen« Dingen ist seltsamerweise
–
je freier die Existenz gerade in dieser Hinsicht sich gestaltet hat – ungeheuerlicher
als je. Für mich hat jetzt das Völkchen eine neue Formel gefunden: d
ss ich nemlich
eine »versunkene Welt« gestalte, für die sich kein Mensch mehr interessire. (Man darf
nur Dramen von
1924 schreiben – haben Sie das gewußt?) Auch sind Tod und
Liebe unwürdige Sujets; – nur Grenzregulirungen, Valutenaenderungen, Steuerfragen,
Diebstähle und Hungerrevolten interessiren den
|ernsten (insbesondere ernsten deutschen) Mann. –
Hab ich Ihnen schon einmal geschrieben, d
ss mein Sohn
Heinrich in
Berlin
Staatstheater engagirt ist? Er fühlt sich dort sehr wohl; er wird wohl
allmälig nach dem Regisseur und Theaterdirector zu sich entwickeln. Anfangs sah's
aus, als würd er Kapellmeister werden.
Meine
Frau lebt in
Baden-Baden; – so bin ich jetzt hier mit meiner
fünfzehnjährigen aber sehr erwachsenen Tochter
Lili (Interesse: Sprachen, – Theater, – Geschichte (vor allem
Friedrich II und
Napoleon) – Eisläufen und Tanzen) allein, sehe aber ziemlich
viele Menschen – die Hälfte davon
selten↓kaum↓ öfter als 1–2 Mal. Auch so liebe Freunde wie
Richard Beer Hofmann seh ich eigentlich selten; – und
Hofmannsthal – da gibt es Pausen bis zu einem
Jahr!
B.-H hat jetzt einen erheblichen Erfolg
als Regisseur gehabt; er hat ein
englisches Stück umgearbeitet
|und inszenirt.
Seine Tochter
Mirjam hat geheiratet, und wird
mit ihrem
Gatten
wahrscheinlich bald nach
Kopenhagen
übersiedeln. –
Es erscheinen bald wieder
Novellen von mir, – und ein
Versstück wird vielleicht auch bald fertig sein; –
besonders viel aber feil ich an aphoristisch-fragmentistischem herum – mein
Bedürfnis, in möglichst
kurz praeciser u conciser
Form gewisse Lebenswahrheiten auszusprechen – die natürlich an sich nicht neu sind
–
zu denen ich aber meinen eigenen Weg gegangen bin – dieses Bedürfnis wird mit den
Jahren immer stärker. Es ist auch etwas Pedanterie und etwas Verspieltheit dabei.
Ich bin sehr glücklich, d
ss Sie immer in gleicher Herzlichkeit meiner gedenken – was
Sie mir bedeuten, – mu
ss ich Ihnen das noch sagen? Ich hoffe Sie sind schon ganz wohl
und der
Jesus ist bald vollendet. Was Sie, Georg Brandes,
|in diesem letzten Jahrzehnt gemacht haben – und
wie
Sie es gemacht haben –; gibt es dafür in der Geschichte menschlicher Geistesarbeit
ein Analogon? Und wie menschlich nah sind Sie einem
↓in↓ jedem
Ihrer Bücher, wie liebt man Sie in jedem! – Und ob
Jesus ein Lebendiger oder ein Mythos war; – in Ihrem
Buch wird er beides zu sein verstehn. –
Im
Januar werd ich wahrscheinlich eine Vortragsreise in der
Schweiz machen. Und wann sieht man einander
wieder? Sie haben's ja in der
Komoedie der Verf.
gelesen: das Alter ist nur eine Intrigue, die die Jugend gegen uns einfädelt. In
meinem nächsten
Stück soll der
Neunzigjährige als Sieger übrig bleiben.
|– Schreiben Sie mir bald wieder einen Brief, mein
verehrter Freund – oder wenns Ihnen leichter von der Hand
gehen sollte, ein Buch. Es darf ja auch eins über Brandes sein.
Seien Sie herzlichst gegrüßt von
Ihrem getreuen
Arthur Schnitzler
Verzeihen Sie die Klexe! Fließende Tinte – neue
englische Feder, – Ungeschicklichkeit. –