Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 14. 12. 1924

|Wien 14. 12. 924
mein lieber und verehrter Freund, den Empfang Ihres Briefes vom 10. Dezember will ich gleich mit dem herzlichsten Dank bestätigen. Denken Sie, mit der gleichen Post kam Ihr Julius Caesar – vom Verleger (Reiss) übersandt, zugleich mit dem dritten Band der neuen Ausgabe der Hauptströmungen. Also – dieser Caesar ist ohne Ihre Autorisation in Deutschland erschienen? Aber Voltaire, Michel Angelo, Goethe – das sind doch autorisirte deutsche Ausgaben? Bitte sagen Sie mir ein Wort darüber. Ich erkundigte mich im vergangenen Frühjahr – anläßlich meiner Bestätigung der eingetroffenen anderen Brandes Bände, – bei Reiss für wann der Caesar zu erwarten sei – er erwiderte, dss er ihn gleich nach Erscheinen an mich senden werde – das hat er |nun gethan – und Sie sollten erst durch mich authentisches von diesem deutschen Caesar erfahren – u hatten nicht einmal Honorar erhalten??
– Die Angelegenheit irritirt mich vielleicht darum ein bißchen mehr, weil ich immer wieder so arge und ärgerliche Dinge mit meinen Büchern im Ausland erlebe. Noch nie ist der Diebstahl, jeder Raub am geistigen Eigenthum so schamlos betrieben worden als jetzt! Man muss Mahnbriefe schreiben, Prozesse führen – oh nicht nur ins Ausland; – auch in nächste Nähe, – verschwendet Zeit und Geisteskraft an geschäftliche Correspondenzen – und erreicht so wenig! – Aber genug davon. –
Es freut mich, dss Ihnen die Kom. der Verführung einigen Spass gemacht hat und dss Sie mir die Palmen, die ich in Gilleleje wachsen |liess, nicht übel genommen haben – (im Gegensatz zu einer Landsmännin (und entfernten Verwandten) von Ihnen glaub ich), der Frau Karen Stampe Bendix, die ich manchmal sehe – und die eine reizende kleine Tochter – Tänzerin hat.) Das Stück hat es ziemlich schwer und wird sich – wie es mit meinen meisten Stücken geht – von meinen allerersten abgesehen, – nur allmälig durchsetzen. Die Verlogenheit der Kritik in »moralischen« Dingen ist seltsamerweise – je freier die Existenz gerade in dieser Hinsicht sich gestaltet hat – ungeheuerlicher als je. Für mich hat jetzt das Völkchen eine neue Formel gefunden: dss ich nemlich eine »versunkene Welt« gestalte, für die sich kein Mensch mehr interessire. (Man darf nur Dramen von 1924 schreiben – haben Sie das gewußt?) Auch sind Tod und Liebe unwürdige Sujets; – nur Grenzregulirungen, Valutenaenderungen, Steuerfragen, Diebstähle und Hungerrevolten interessiren den |ernsten (insbesondere ernsten deutschen) Mann. –
Hab ich Ihnen schon einmal geschrieben, dss mein Sohn Heinrich in Berlin Staatstheater engagirt ist? Er fühlt sich dort sehr wohl; er wird wohl allmälig nach dem Regisseur und Theaterdirector zu sich entwickeln. Anfangs sah's aus, als würd er Kapellmeister werden.
Meine Frau lebt in Baden-Baden; – so bin ich jetzt hier mit meiner fünfzehnjährigen aber sehr erwachsenen Tochter Lili (Interesse: Sprachen, – Theater, – Geschichte (vor allem Friedrich II und Napoleon) – Eisläufen und Tanzen) allein, sehe aber ziemlich viele Menschen – die Hälfte davon kaum öfter als 1–2 Mal. Auch so liebe Freunde wie Richard Beer Hofmann seh ich eigentlich selten; – und Hofmannsthal – da gibt es Pausen bis zu einem Jahr! B.-H hat jetzt einen erheblichen Erfolg als Regisseur gehabt; er hat ein englisches Stück umgearbeitet |und inszenirt. Seine Tochter Mirjam hat geheiratet, und wird mit ihrem Gatten wahrscheinlich bald nach Kopenhagen übersiedeln. –
Es erscheinen bald wieder Novellen von mir, – und ein Versstück wird vielleicht auch bald fertig sein; – besonders viel aber feil ich an aphoristisch-fragmentistischem herum – mein Bedürfnis, in möglichst praeciser u conciser Form gewisse Lebenswahrheiten auszusprechen – die natürlich an sich nicht neu sind – zu denen ich aber meinen eigenen Weg gegangen bin – dieses Bedürfnis wird mit den Jahren immer stärker. Es ist auch etwas Pedanterie und etwas Verspieltheit dabei.
Ich bin sehr glücklich, dss Sie immer in gleicher Herzlichkeit meiner gedenken – was Sie mir bedeuten, – muss ich Ihnen das noch sagen? Ich hoffe Sie sind schon ganz wohl und der Jesus ist bald vollendet. Was Sie, Georg Brandes, |in diesem letzten Jahrzehnt gemacht haben – und wie Sie es gemacht haben –; gibt es dafür in der Geschichte menschlicher Geistesarbeit ein Analogon? Und wie menschlich nah sind Sie einem in jedem Ihrer Bücher, wie liebt man Sie in jedem! – Und ob Jesus ein Lebendiger oder ein Mythos war; – in Ihrem Buch wird er beides zu sein verstehn. –
Im Januar werd ich wahrscheinlich eine Vortragsreise in der Schweiz machen. Und wann sieht man einander wieder? Sie haben's ja in der Komoedie der Verf. gelesen: das Alter ist nur eine Intrigue, die die Jugend gegen uns einfädelt. In meinem nächsten Stück soll der Neunzigjährige als Sieger übrig bleiben.
|– Schreiben Sie mir bald wieder einen Brief, mein verehrter Freund – oder wenns Ihnen leichter von der Hand gehen sollte, ein Buch. Es darf ja auch eins über Brandes sein.
Seien Sie herzlichst gegrüßt von
Ihrem getreuen
Arthur Schnitzler
Verzeihen Sie die Klexe! Fließende Tinte – neue englische Feder, – Ungeschicklichkeit. –
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