Ich fühle es mit Bestimmtheit, daß ich diesen Brief nicht nur in
↓den↓ Wind schreibe. Wenn man wenigstens immer in den Wind schriebe, aber man
schreibt ja nicht an kleinherzige Menschen. Es hat mir kein Mensch geraten an Sie,
lieber Dichter, zu schreiben, es überkam mich
×, Sie um eine große Gefälligkeit zu bitten, nämlich mit
|meinem geliebten
Kinde, meinem
Sohn zu sprechen. Ich bin
Else Lasker-Schüler; mein
Junge wohnt in
Wien ↓VIII.↓ Florianigasse 47/49 Stiege II. ↓Thüre 25↓ in einem grossen Zimmer bei einer netten
Wirtin. Wenn Sie ihm schreiben lassen, kommt er zur angegebenen Zeit, Herr Doktor. Ich
möchte Ihnen so viel sagen; schon wie ich im Januar in
Wien war. Ich bekam dort Scharlach und
Diphteritie, saß dabei vier Wochen in Flanell gehüllt im
Cafe Central am Fenster und ich glaube das herrliche
Wiener Trinkwasser heilte mich. Ich habe in
München jetzt Gelegenheit gehabt, meinen
Paul zeichnerisch anzubringen
|aber er
liebt
Wien so und bat mich doch dort bleiben zu
können. Zunächst versuchte er mit einem
Freund Plakate zu
zeichnen für Geschäfte. Einen Monat ging das, aber nun ist grosser Stillstand.
Nu
n möchte ich so gern, hochzuverehrender Herr Doktor, daß Sie
mein liebes
Kind kennen
lernen; er ist der liebste
kindlichste Junge, den ich fast kenne –
im Grunde;– aber was man
mir nicht antut – vielleicht
aus Feigheit, – muß der arme
Junge erleiden. Ich weiß
wie unerhört er
in
Wien angeschwärzt wurde; niemand spricht von seiner Bescheidenheit, auch in
künstlerischen Dingen.
|Darum wird er sich alleine nie durchsetzen, ich meine
– weiterkommen – äußerlich – was doch
↓hier↓ sein muss. Er
giebt sich
so Mühe, aber es gelingt ihm nicht und ich tue ja alles was in meiner Kraft
liegt. Danach muß er stets genug zu essen und Anzuziehen haben und wenn er
nicht charmant seinen Besuch bei Ihnen
machen sollte, so kann ich nichts dafür. Wirklich es
leben nicht
zwei Menschen mehr, die verfolgter sind wie wir zwei, mein
Junge und ich. Herr
Doktor, ich bitte Sie herzlich als Mensch und als Dichterin,
↓(↓und nie werde ich es Ihnen vergessen) meinen
Jungen einmal einzuladen.
Wedekind ↓war direkt begeistert von ihm in Zürich↓ und Prof.
Einstein fand ihn prachtvoll
. |Vielleicht können Sie ihm raten, wohin er sich wenden soll, Ihr Wort in
Wien gilt ja. Was kann ich für Sie je tun? Kommen
Sie bald nach
Berlin? Sehe ich Sie? Denken Sie,
ich kenne nur ein Schauspiel von Ihnen; ich gehe
so selten ins Theater, so erschöpft bin ich am Abend. Ich bitte Sie mir die Freude
zu
machen, Herr Doktor, und es wäre so schön mein
Junge und seine
Freunde würden mal wo
eingeladen in Familie, alle drei, entzückende Bengels. Als wir noch in
Berlin waren, gingen wir oft zusammen ins Kino,
mein Sanatorium. Ich grüße Sie, hochwerter lieber Dichter, Ihre
Else Lasker-Schüler der Prinz von Theben
Mondsichel mit
Stern