|Kopenhagen 10 December 24
Mein liebster SchnitzlerViel Arbeit und lang dauernde wenn auch nicht
schwere Krankheit, die noch nicht vorüber ist, haben mich verhindert, Ihnen in Dank
mein Herz auszuschütten. Irgend jemand, der von Ihnen kam oder auf Sie sich berief,
war neulich bei mir. Wie er hiess, habe ich vergessen.
Ich habe Ihnen für zwei
Bücher zu danken. Besonders das erstere die
Komoedie der Verführung gibt viel zu denken über den Reichtum und die Tiefe
Ihrer Erfahrungen, vielleicht noch mehr über die Fülle und Geschmeidigkeit Ihrer
Erfindungskraft, die ich am meisten bewundere, weil sie mir völlig fehlt. Man
bewundert
|wol immer am meisten
Fähigkeiten, die uns verweigert sind.
Ich habe mit Ueberraschung gesehen dass Ihre paar kurzen Aufenthalte in unserem
kleinen langweiligen
Land
Ihre Phantasie in Bewegung gesetzt hat, und dass sogar die
Nordküste von Seeland unter Ihren Händen einen Zauberschimmer erhalten hat.
Sie sind ein grosser Menschenkenner, besonders ein Frauenkenner wie wenige. Meine
Erfahrungen stimmen nicht immer mit den Ihrigen überein. Aber der Menschenschlag war
verschieden, ich habe meistens
Skandinavinnen und
Russinnen gekannt, nie
Oesterreicherinnen. Die wenigen dieser Nation, die ich getroffen
habe, waren sehr prosaisch; alle Ihre Frauen haben eine poetische Aureole.
Das
andere Buch dessen
erzählende Form an Ihr Meisterwerk über den
|Lieutenant Gustel erinnert, ist ganz einfach
aufgebaut, durch traurige Wahrheit
ergreifend. Sie
haben den tragischen Ausgang gewollt, haben dem armen Mädchen die Auswege versperrt.
Am feinsten scheint mir in der Erzählung die Lebenslust, die das junge
Mädchen an den
Vetter und an den
Fred zieht. Warum sind Sie so hart gewesen,
sie sterben zu lassen! – –
Sie werden bemerkt haben, dass die Jahre zwischen 80 und 90 nicht die Blüthezeit der
Weiber ist. Sie ist ja leider auch nicht die der Männer, wenn man sich auch gern
Illusionen macht.
Ich habe ein paar
Bücher über das
18. Jahrhundert in
Frankreich herausgegeben über
Talleyrand, über
Lauzun etc. aber ich habe bisher die Uebersetzung verhindert da die Form
noch nicht endgültig ist.
|In der letzten Zeit habe ich ein
Buch auf dem Stapel,
von das beweisen will dass das Leben
Jesu (ungefähr wie das Leben Wilhelm Tells) nur Sage ist. Ich
habe ein paar Kapitel schon veröffentlicht und werde bald damit zu Ende sein, erwarte
nur Rückkehr der Gesundheit. Es wird leider viel Geheul verursachen.
Dieser Brief ist ein sehr schwacher Ausdruck meiner freundschaftlichen Gefühle. Mit
den Jahren blieben wenige zurück, denen man sich geistig verwandt fühlt und von denen
man etwas lernt. Sie sind einer von diesen ganz wenigen für mich.
Jemand sagte mir, ein
Buch das
ich
1918 über
Cäsar schrieb sei deutsch
erschienen. Ich
habe weder ein Exemplar noch ein Honorar gesehen.
Ihr Georg Brandes