verehrtester Herr Brandes, Sie haben wohl recht, dass in meinem
Buch zwei Romane
enthalten sind, und dass künstlerisch geno
mmen der
Zusa
mmenhang kein absolut notwendiger sein mag.
(Ich tröste mich gleich damit, dass andre Autoren manchmal auch glauben, sie
hätten einen Roman geschrieben – und es ist gar keiner) Schon während meiner
Arbeit hab ich immer gefühlt, dass es so ko
mmen wird
– aber ich konnte – oder wollte mir nicht helfen. Denn so sorgfältig das Buch
componirt ist, es ist doch erst so recht ge
|worden, während ich es schrieb. Denken Sie, was
eigentlich der Kern war, um den sich allmälig das ganze gruppirte: Eine Scene,
in der ein thörichter Bruder den Geliebten seiner Schwester als »Verführer« zur
Rede stellt und von ihm glänzend geschlagen wird. Es hätte damals, als mir
dieser kleine Einfall kam, ein Stück werden sollen. (Dieser ganze Einfall ist
jetzt in einem beinah überflüssigen Sätzchen des 5. Capitels enthalten.) Dann
schwebte mir eine Novelle vor: ein junges Mädchen, das sich aus theoretischen
Gründen zu einem Geliebten entschliesst und sich in ihre Stellung nicht
hineinfinden kann. Dann spukte mir eine Komödie im Kopf, mit dem Titel
|die
Entrüsteten, wofür schon die meisten Figuren, die
sich jetzt im Roman vorfinden, feststanden, und noch einige andre. Nun dürfen
Sie natürlich nicht glauben, dass ich diese Einfälle und Vorsätze sozusagen mit
Absicht ineinander verschmolzen habe – sondern sie flossen ineinander, ganz ohne
mein Zuthun – sodaß ich unmöglich daran hätte etwas ändern können. Ich habe
nichts hineingestopft, weil ich eben Gelegenheit suchte, gewisse Ansichten oder
Aphorismen anzubringen – sondern im Laufe der Erzählung, vielmehr schon während
der Vorarbeiten, war jede Gestalt mit ihren Anschauungen dahingerückt, wo sie
nun stehen geblieben ist. Mir war
|das
Verhältnis
Georgs zu seiner
Geliebten immer geradeso wichtig wie seine Beziehung zu den verschiedentlichen
Juden des
Romans – ich habe
eben ein Lebensjahr des Freiherrn
von Wergenthin geschildert, in dem er über allerlei Menschen und
Probleme und über sich selbst ins Klare ko
mmt.
Manche von diesen Problemen sind mir selbst allerdings erst im Laufe der Arbeit
zu ihrer eigentlichen Bedeutung erstanden – obwohl sie ja von Anbeginn in den
Geschehnissen enthalten waren; insbesondere das Problem der Schuld und der
Verantwortung. Ganz flüchtig, gewissermaßen
|wie ein Spaß, kam mir sogar der Gedanke,
das Buch »Die Mörder« zu nennen oder »Die Schuldig-Unschuldigen« – (ein Spaß wie
gesagt) – aber fiel es Ihnen nicht auch auf, wie sowohl
Georg als
Heinrich Bermann als
Leo Golowski ↓jeder↓ ein Menschenleben auf dem Gewissen haben?
Georg metaphysisch oder in
der Einbildung der Mörder seines ungeborenen Kindes –
Heinrich läßt seine Geliebte aus
Eitelkeit – oder »
Trägheit des Herzens« (um
den Titel des neuen
Wassermann’schen Romans zu citiren) zu
|Grunde gehn –
Leo bringt seinen Gegner im Duell um.
(Und keinem von ihnen ist innerlich freier zu Muth, als dem, der
auch↓just↓ im
wahren↓üblichen↓ Wortsinn getödtet hat!)
– Was Sie an einer Stelle Ihres Briefes andeuten, ist mir auch in den Sinn geko
mmen: ob es nicht klüger, künstlerisch klüger
gewesen wäre,
Georg zum
Liebhaber einer Jüdin zu machen. Ich konnte nicht. Die Gestalt der
Anna
stand von Anfang an
eben so unwidersprechlich als katholisch da. Und es kam mir ja schliesslich
nicht darauf an, irgendwas nachzuweisen: weder dass Christ und Jude sich nicht ver
bergen↓tragen↓ – oder dass sie sich doch vertragen können – sondern ich wollte, ohne
Tendenz,
|Menschen und Beziehungen
darstellen – die ich gesehn habe (ob in der Welt draußen oder in der Phantasie
bliebe sich gleich.)
Wie sich Es freut mich so
sehr, dass Sie innern Reichtum in dem
Buch finden. Dies Gefühl, ich will es gestehn,
verliess mich selten während meiner Arbeit – und in diesem Gefühl verzieh ich
mir mancherlei – vielleicht zu viel. Und
↓–↓ immer
wieder in diesem selben Gefühl – war ich so niedergedrückt und hoffnungslos,
dass ich sagte: Wie schön war dieser Roman, – eh ich ihn geschrieben habe! –
Jetzt aber, da er fertig ist, schätz ich ihn höher als alles was ich bisher
gemacht – und ich danke Ihnen herzlich für all das gute, das Sie mir
|darüber schreiben – und dank Ihnen noch
mehr, dass Sie in meinen Sachen etwas verwandtes spüren. Was Ihre Freundschaft
mir bedeutet, brauch ich Ihnen wohl nicht mehr zu sagen. Ich hoffe wir sehen uns
wieder, und nicht in gar zu ferner Zeit. Kommen Sie denn gar nicht mehr nach
Wien?
Meine
Frau bittet mich, in
guter
Marienlyster Erinnerung, Sie bestens zu
grüßen. Wir haben keinen guten Winter hinter uns; meine
Frau hatte einen schweren Scharlach. Zwei
Monate lang war das
Kind ↓deshalb↓ außer Hause; seit dem Frühjahr sind wir viel
herumgefahren; erst seit ein paar Tagen arbeit ich wieder was.