Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 5.–6. 8. 1904

|Wien, 5. 8. 904
lieber Hugo, Ihr Brief aus der Fusch hat mich sehr erfreut und ich bin begierig was Sie nun eigentlich alles außer dem geretteten Venedig von diesem Sommer nach Hause bringen werden. In der Wärme die uns umfließt, in der Besonntheit der ganzen Atmosphäre muss doch etwas seltsam befruchtendes liegen, denn auch mir geht es so gut wie lange nicht. Es hat begonnen an einem der ersten Tage, da ich von meinem Unwohlsein wieder aufgestanden war – wo ich Nachmittags eine ganze Novellette niederschrieb, die mir (der Einfall bestand schon seit |lange) Vormittags auf einem Spaziergang aufgegangen war. Dann arbeitete ich an dem Roman weiter, dessen Fülle ich nur mehr möchte beherrschen können. Vom 12.24 (ungefähr) waren wir in Reichenau, wo ich auch in guter Stimmung weiterschrieb. Ausflüge Naßwald, Rax. Rad beinah gar nicht – die vielen mühelosen Dahinraser im Automobil verderben einem die naive Freude. Aber es wird schon wiederkommen, in fremdem Gegenden.
Nun sind wir seit etwa 12 Tagen wieder in Wien und in unserer |angenehmen Wohnung gefällt es uns sehr gut und wir finden uns alle Vater, Mutter und Kind behaglich. Seit der Julius auf Ferien issteht uns sein Fiaker zur Verfügung, und so fahr ich mit Olga jeden Abend aufs Land, immer aufs neue u immer mehr entzückt von diesen Wiener Wald Landschaften – die mich beinah immer so ergreifen als käme ich nach langen Jahren von irgendwoher in diese heimatliche Wundersamkeit zurück. Gestern Abend fuhren wir an dem verwaisten Ro|daun ganz nah vorüber, von Mauer über Kalksburg (eine Waldstraße, Klausenstraße glaub ich, die ich noch gar nicht kannte) nach dem rothen Stadel, und haben Ihrer und Richards herzlich gedacht. (Es war sozusagen eine ungeschriebene Ansichtskarte, die sich abspielte) –
Vor ein paar Tagen, in Mauerbach, entwickelte sich plötzlich aus einer kleinen Notiz, die ich in mein Büchel eingetragen hatte, im Gespräch mit Olga, ein völliges Lustspielsujet, am nächsten Tag ent|warf ich das Scenarium, am übernächsten standen die Gestalten schon so klar vor mir, dass ich mich berechtigt fühlte, die erste schlamperte Niederschrift zu beginnen, die mich wohl nicht lange in Anspruch nehmen wird. Es kann, wenn die Laune bleibt, ein graziöses Ding werden. Ein andres Stück, eine 5aktige Komödie, von der in Taormina 3 Akte ganz flüchtig und zum Theil blödsinnig hingeschmissen wurden, die sich aber hier, wenigstens im Plan, zu etwas sehr möglichem entwickelte, |bleibt nun bis auf weiteres liegen. Von dem phantastisch historischen Stück und manchem andern, das in zweiter Reihe und dritter steht, will ich vorläufig nicht reden; ich möchte nur das strategische Talent haben, die Truppen, die ich vorläufig nicht brauche, mit der nöthigen Autorität in die Reserve oder wenigstens hinter die Schlachtlinie zu verweisen (Hören Sie den ehemaligen k. u. k. Oberarzt aus diesen Worten trompeten?) Außerdem |möcht ich allerdings noch manches andre: vor allem mehr Fleiss . . .
6. 8
wurde gestern unterbrochen und will heute nur noch viele schöne Grüße hinzusetzen. Heute (es ist Nachmittg) waren wir schon am Vormittag auf der Sophienalpe, und das ist die Gegend, wo ich von den Gestalten des Romans am härtesten bedrängt werde. –
Wir bleiben nun denk ich bis Anfang September hier in Wien, und dann möchten wir, auf etwa 14 Tage nicht allzu weit, Ischl etwa. Es |wäre nicht undenkbar, dass die Fanny Mütter mitkommt; aber ich halt es für unwahrscheinlich. Kämen Sie dann event. auch mit Gertyso könnten wir zwei ein paar unsrer schönen Radtouren vollführen? – Jedenfalls treffen wir uns im Herbst, nicht wahr? –
Grüßen Sie was Sie in Aussee von erfreulichen Menschen sehen und antworten mir rascher als ich Ihnen diesmal geantwortet habe.
HerzlichstIhr
A.
    Bildrechte © Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt am Main