Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, [24./25.?] 7. 1904

|Bad Fusch 2×ten

lieber,

hier bin ich wirklich wie unter dem ersten Anhauch der Luft gesund geworden, und von einem innern Reichthum, dass ich manchmal, gegen Abend, auf eine steile Berglehne hin aufklettern muss, nur um das Blut vom Kopf abzuleiten und den unaufhörlichen |Zudrang von Gedanken, Bildern, Situationen, abzuleiten.
Es ist mir schwerer, in solchen Zeiten ein Buch zu lesen. Ich möchte alles, was mir in die Hände fällt, dramatisieren, selbst den Goethe–Schiller’schen Briefwechsel, oder die Linzer Tages-post.
Das »gerettete Venedig« hab ich heute abgeschlossen. Was noch |daran zu thun ist, das wenige lässt sich unter dem Abschreiben thun.Indessen sind aber, wie leuchtende Wolkeninseln hinter den Bergen hervor andere Stoffe gestiegen, zum Theil aus dem geheimnisvollen Abgrund des niemals schlafenden, umbildenden Gedächtnisses: das »Leben ein Traum« dieser fast zu große Stoff, hat seinen tiefen |dem Calderon fast entgegen gesetzten Schluss gefunden, »Pentheus« im Stoff den Bacchen des Euripides nahe, aber viel reicher und schöner, hat sich zum Scenarium gegliedert, zweiactig; »Orest in Delphi« der Elektra 2ter Theil zeigt seine Gestalten unheimlich deutlich – mit dieser Fracht gehe ich den 31ten nach Markt-Aussee, Rammgut.
Lassen Sie mich hier oder dort nicht ohne Nachricht. Ihr Hugo.
    Bildrechte © University Library, Cambridge