Arthur Schnitzler an Edith Brandes, 4. 7. 1901

|Verehrtes Fräulein,

Sie sind mir natürlich auch längst nicht unbekannt, ich kenne sogar Ihr Bild, und vor fünf Jahren hätte ich Sie persönlich kennen lernen können, wenn ich lang genug in Kopenhagen geblieben wäre. Es freut mich natürlich sehr, dass Sie etwas von mir für Ihr Album wollen. Aber da wir nun beinahe gute Bekannte sind, frag ich Sie lieber gleich, was Sie denn am liebsten möchten. Ich meine das so. Vielleicht haben Sie Sympathie für irgend eines von meinen Büchern und wünschen, dass ich Ihnen aus einem solchen Buch etwas in Ihr Album schreiben soll? (Da müssten Sie natürlich warten bis ich wieder in Wien bin, weil ich meine Werke nicht auswendig kenne.) Oder Sie wünschen lieber irgend eine der ungeheuer tiefsinnigen Lebensweisheiten, von denen wir Dichter bekanntlich überfliessen? Oder eine von den graziösen Geistreichigkeiten, die wir zu tausenden vorrätig haben, die man auch beliebig drehen kann und die immer umgekehrt gerade so wahr sind? In Wahrheit hätte ja nur eine Art von Albumblättern wirklichen Wert: eins, auf dem geschrieben stünde, was nur der eine der es schreibt zu nur dem einen sagen könnte, der es verlangt. Wie leid tut es mir, Sie nicht gut genug zu kennen, um Ihnen ein solches anzubieten – und Sie bitten zu müssen, – bis dahin – ein andres zu wählen und entgegen zu nehmen.
Wenn Sie mir eine Zeile antworten, adressieren Sie sie gütigst nach Wien; ich bin auf Reisen und vielleicht schon in wenigen Tagen sehr fern von hier.
Jetzt danke ich Ihnen noch für das viele freundliche das Sie mir in Ihrem Briefe gesagt haben, bitte Sie, sehr herzlich Ihren Vater zu grüssen und bin
Ihr aufrichtig ergebener
Arthur Schnitzler
    Bildrechte © University Library, Cambridge