Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 27. 3. 1898

|Wien, 27. 3. 98

Verehrtester Herr Brandes,

es war wirklich nicht nothwendig uns für etwas zu danken, was uns selbsso viel Freude gemacht hat wie die Möglichkeit während Ihres Wiener Aufenthalts einige Stunden mit Ihnen zu verbringen; jedenfalls aber freut mich Ihre liebe Nachricht aus Sicilien, die mir von Ihrem Wohlbefinden so ange|nehme Kunde gibt. Über Ihre Aufnahme in Rom hatte ich schon irgendwo gelesen; der ungestörte Fortgang Ihrer Reise ließ mich auch vermuthen, dass Sie von Hause günstige Mittheilungen erhielten, was mir nun durch Ihren Brief erfreulich bestätigt wird. Wir haben auch aus Kopenhagen Ihre Bücher geschickt bekommen; herzlichen Dank dafür. Den Band aus den Hauptströmungen hab ich schon gekannt, in der früheren |Ausgabe; dagegen habe ich Ihre Rede über das Nationalgefühl zum ersten Mal gelesen. Ich glaube dssie als ein wahres Muster ihrer Gattung gelten kann, da sie schwungvoll und sachlich zugleich ist.
Die Aufnahme des »Freiwild«, nach der Sie sich erkundigen, war hier am ersten Abend eine sehr gute; die Kritik war im ganzen wenig wohlwollend. Sie wissen, dass ich selbst |eine geringe Meinung von dem künstlerischen Werth dieses Stücks habe; aber davon war wenig die Rede. Dagegen ist bei der Besprechung der angeblichen Tendenz so viel Bornirtheit und Verlogenheit aufgeflogen – wie Staubwolken, wenn ein galoppirendes Ross über die Landstraße jagt. Insbesondre die antisemitischen Blätter leisteten unglaubliches in Denunziationen. Es isschließlich so weit gekommen, dass die Direktion |des Theaters nach sieben Vorstellungen »auf einen Wink von oben«, (über den man mir selbst nur unter 4 Augen Aufschluß geben wollte, was ich nicht annahm) das Stück absetzte. –
Mein neues Schauspiel kommt im Herbst in der Burg dran (wenn die Hofcensur nichts dawider hat); jetzt habe ich ein paar einaktige Sachen geschrieben und möchte bald wieder an was größeres gehen. Bei dem neuen Schauspiel ist mir stärker als je ein Grundmangel |meines Schaffens zum Bewußtsein gekommen. Ich finde nemlich, dass mir die Nebenfiguren meistens nicht übel gelingen; hingegen ist meine Hauptperson immer irgend wer, dem was sehr trauriges passirt – und nicht viel mehr. Sie holt ihre Bedeutung aus ihrem Schicksal, nicht aus ihrem Wesen.
Die »Lust« von d’Annuncio, die Sie auf der Reise gelesen haben, war mir auch nicht sympathisch. Vor allem schien mir einiger Snobismus |drin zu stecken; auch Bildungssnobismus. Dagegen wäre möglicherweise nichts einzuwenden, wenn nicht gewisse künstlerische Schwächen daraus hervorgingen. Ein Dichter hat gewiss das Recht zu sagen: Sie sah aus wie die Madonna von Rafael in Dresden oder er erinnerte mich an ein Portrait von Rembrandt; – aber er darf nicht verlangen, dass ich mir was vorstellen soll, wenn er schildert: Sie hat Hände wie die |Dame auf dem Bild eines unbekannten Malers das in einer unbekannten Galerie in einer ganz kleinen italienischen Stadt hängt. Derartiges findet sich in der »Lust« nicht gerade selten. – Was ich aber sonst von d’Annuncio kenne, hat mich mit Bewunderung erfüllt. Ich meine den »Triumph des Todes« und die »Unschuldige.« –
Wie lange bleiben Sie noch in Italien? Werden wir bald wieder von |Ihnen hören? Ich brauche die »Wir« nicht näher zu bezeichnen. Paul Goldmann geht auf etwa ein halbes Jahr nach China und Japan, im Auftrag seines Blattes; er schifft sich am 5. April in Genua ein. Ich will in der Charwoche per Rad vom Brenner aus durchs Ampezzothal nach Venedig.
Von meiner Mama und Beer-Hofmann habe ich Ihnen die besten Grüße zu sagen; |mögen Sie, verehrtester Herr Brandes, angenehmes denken und angenehmes erleben und uns, wenn Sie sich auf der Rückreise wieder in Wien aufhalten (was dringend gewünscht wird) mancherlei davon erzählen.
Herzlichst ergeben
Ihr
ArthurSchnitzler
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