Stefan Zweig an Arthur Schnitzler, 12. 10. 1917

|SZ 12. October 1917
Lieber verehrter Herr Doktor, ich danke Ihnen sehr für Ihre guten Worte; dass dieses Werk, eigentlich aus Zorn und Qual geboren, mir nun Liebe gerade der Besten gewinnt, bezeugt mir die Notwendigkeit dieser Erbitterung, die ich lange selbst wie eine sinnlose Verstörung empfand. Vielleicht hat die Verwandlung die Leidenschaft gelöst und damit auch das Leiden erlöst: ich fühle mich jetzt freier, so sehr ich äusserlich noch gebunden bin.
|Es wäre nur ein menschliches Bedürfis, Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin wieder einmal sehen zu dürfen. Aber ich lebe ganz im Ungewissen. Vor 6 Wochen hat das Auswärtige Amt für mich um einen Urlaub nach der Schweiz gebeten, wo ich einige Vorträge halten soll. Das Kriegsministerium, das jeden Filmschapsel und Operettengaukler willig entliess, hat in sechs Wochen nicht geruht, darauf Antwort zu geben, der Vortrag wartet auf mich und ich weiss nicht, ob ich darf oder nicht. Freilich: ich rühre nicht einen Finger, weil es mir zu kläglich scheint, nach drei Jahren Dienst um so einen Atemzug Freiheit noch bittlich zu werden: aber ich hänge jetzt in der Luft und weiss nicht von heute auf morgen.
Herzlich ergeben Ihr getreuer  Stefan Zweig
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