Lieber verehrter Herr Doktor, ich weiss nicht, ob Sie schon wieder in
Wien sind, möchte mich doch aber bei Ihnen
anfragen, weil ich eigentlich recht ungeduldig bin, Sie wiederzusehen. So lange habe
ich mir es versagen müssen, von Ihnen zu hören, aber meine Existenz in dieser Zeit
ist ja eine so zusammengepresste, dass selbst die erwünschtesten Dinge aussen bleiben
mussten. Seit bald zwei Jahren bin ich nun eine Art Diurnist, habe in zwei
Jahren keine acht Tage für mich gehabt und muss selbst dieses kleine Stück Leben
tagtäglich fast vor dem Absturz hüten, dazu kam in den letzten acht Monaten eine
grosse
Arbeit, die ich mit
zusammengebissenen Zähnen vorwärts
|treibe, die Angst im Nacken, sie nicht vollenden zu können, die Bangnis innen, ob
nicht meine Kraft durch die innere Gegenwehr wider die Zeit nicht gebrochen sei. Sie
mögen denken, was mir es bedeutet, da wieder einen Abend in der guten Atmosphäre
schaffender, ans eigene Werk gestellter Menschen zu verbringen, wie viel mirs wäre,
wieder von Ihrer gütigen Gegenwart
Freude haben zu dürfen.
Fürchten Sie nicht, dass ich zu trübe Stimmung Ihnen bringe: im Gegenteil, ich bin
jetzt durch Resignation gegen Alles irgendwie gepanzert. Etwas Anderes hätte ich
Ihnen lieber mitgebracht, nämlich einen Akt oder zwei aus meiner grossen
Arbeit und Ihnen vorgelesen.
Ich glaube nur zu wissen, dass Sie nicht gerne sich lesen lassen, andrerseits ist
mein
Stück eben noch weit von
der Vollendung und ich hätte es
|gerne
Ihnen näher gebracht. Es ist eigentlich meine erste wirkliche Arbeit, die erste, die
ich innerlich ganz anerkenne, weil sie über das Mass meines Willens so
hinausgewachsen ist, weil sie – wohl aussichtslos in jedem zweckdienlichen Sinne –
nur die ganzen innern Probleme der Zeit und meines persönlichen Erlebens erlösend
aufgelöst hat. Es war in den letzten acht Monaten die innerlichste Zwiesprache die
ich führen konnte, besser als mit allen Menschen.
Ich habe in diesen Zeilen gar nicht Ihrer lieben
Frau gedacht und doch gehen auch meine Worte an sie. Es ist
so gut jetzt an wirkliche an menschliche Menschen denken zu dürfen und ich tue es
gern und oft, um mich über die andern zu trösten. Wann immer Sie mir es erlauben
wollen, komme ich zu Ihnen. Meine herzlichsten Grüsse voraus! Ihr getreuer