Stefan Zweig an Arthur Schnitzler, 15. 3. 1913

Paris
15. März 1913

Verehrter Herr Doktor,

seit einiger Zeit in Paris habe ich heute Paul Morisse zum erstenmal gesprochen und eile mich, Ihnen sein Stillschweigen zu erklären. Morisse hat Ihr Stück längst übersetzt, sogar eigens in München einer Aufführung beigewohnt und gibt sich alle Mühe. Wenn er Ihnen nicht schrieb, so war es einzig die Scheu, nichts Negatives melden zu wollen. Es bedeutet ja für Sie nichts Peinliches, wenn ich es nun übernehme Ihnen zu sagen, dass bei zwei Theatern seine Schritte vergeblich gewesen sind, so sehr man das Werk rühmte, auch Antoine konnte sich nicht entscheiden. Augenblicklich liegt es beim Theater des Variétés, wo die Hoffnungen auf schwachen Füssen stehn, besonders bei der jetzi|gen politischen Lage, wo die Aufführung deutscher Werke geringer Sympathie begegnet.
Sicher wäre das Theater des Arts das jetzt modernste von Paris, das Shaw, Hebbel, die jungen Franzosen spielt. Es ist natürlich ein a-coté-Theater und trägt gar nichts oder beinahe so viel: Morisse wagte Ihnen dies nicht anzubieten, etwas Deklassierendes isth dabei nicht zu finden und die Presse vollzählig vertreten. Hier müssten Sie entscheiden.
Auch ist er bereit, das Werk sofort als Buch erscheinen zu lassen, nur soll dies in Frankreich gewissermassen einen schweigenden Verzicht auf die Aufführung bedeuten.
Ich hoffe, verehrter Herr Doktor, klar berichtet zu haben. Morisse hat sich alle Mühe gegeben, Sie wissen ja selbst, wie schwer Paris zu erobern ist. Jedesfalls stehe ich hier ganz zu Ihrer Verfügung, falls Sie irgend eine bestimmte Aus|kunft wünschen, ich bleibe noch drei Wochen zumindest. Mein Leben ist hier vielfältig durch die Stadt und doch geschlossener durch das Fremdsein, das nur die Freundschaft einiger guter Menschen zum doppelten Glück macht. Bewahren Sie mir gutes Gedenken, überbringen Sie Ihrer Frau Gemahlin beste Empfehlungen und seien Sie aufrichtigst gegrüsst von Ihrem treu ergebenen
 Stefan Zweig
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