Stefan Zweig an Arthur Schnitzler, 3. 6. 1908

Wien, 3. Juni 08

Sehr verehrter Herr Doktor,

ich hatte mir schon Sorge gemacht, Sie würden es vielleicht übel vermerkt haben, dass ich gestern mit nur raschem Gruss an Ihnen vorbeigieng – ich fürchtete, Sie zu stören – da bringt mir heute Ihr Buch ein liebes Geschenk und ein nur noch Wertvolleres: das Zeichen freundlicher Gesinnung. Ich bin so sehr froh, das Buch von Ihnen zu besitzen: es wird mir nun vielleicht noch mehr sein, als es mir durch seine innere Gewalt ohnehin schon bedeutet. Uns, |den Jüngern, durch Blut und Heimat liebe Verwandten, ist es ja wohl zugeschrieben, uns wird es vielleicht mehr gehören, als jeder anderen Generation, jeder andern Stadt, jedem andern Kreis: mögen die andern das Äussere lieben, den Blick, den Griff, die Melodie, so stehen wir doch seinem Herzen am nächsten, denn – unbewusst vielleicht – für uns ist es geschrieben, ist es als Wegzeiger hin gestellt. So empfangen Sie mit meinem Dank den vieler anderer, denen die Freude nicht gegeben war, es direct aus Ihren Händen nehmen zu dürfen, einen Dank, nicht für Einzelnes, nicht für das Geschaffene allein sondern für das Ganze, für den grossen schönen Willen und für alle die viele Liebe, die Sie diesen Menschen – für uns – mitgegeben haben.
|Schade, dass Auernheimer durch die ängstliche Tendenz der Neuen Freien Presse genötigt war, dem eigentlichen Problem auszubiegen. Gerade die Idee der Amalgamierung des Jüdischen und Wienerischen darin scheint mir das Neue, Bedeutsame und noch nie Gewagte und sie würde – und wird vielleicht – in einer Studie über den Roman mich am meisten beschäftigen.
Nochmals: vielen Dank für Ihre Güte. Und seien Sie meiner lebhaften Verehrung aufs innigste versichert. Ihr sehr ergebener
 Stefan Zweig
    Bildrechte © University Library, Cambridge