Verehrtes und liebes Fräulein,
Die Briefe, die Sie und Ihr
Schwesterchen mir ge
schrieben, haben mir
g×× große Freude bereitet. Seit Wochen liegen
sie auf dem Schreibti
sch – ganz
obenauf, um ra
sch zur Hand zu
sein für den Fall, daß die Stunde des Brief
schreibens
kommen
sollte. Aber die Stunde i
st bisher nicht gekommen, wird auch wohl
so bald
nicht kommen in meinem vielgeplagten Berichter
statter-Da
sein, und das, was ich Ihnen
heut
schreibe, i
st eigentlich kein Brief,
sondern
es
sind nur drei kurze Worte des Dankes und des herzlichen Gedenkens, die doch
endlich einmal ge
sagt werden mußten, Ihnen
|sowohl,
wie dem Fräulein
Liesl.
Inzwi
schen war
Dr. Schnitzler in
Wien Berlin und hat mir
Mancherlei über die
Rothe-Sterngasse berichtet. Insbe
sondere, daß es Ihnen gut geht und daß Sie tüchtig vorwärts
streben, was ja die Haupt
sache i
st. Ich wäre gern, gern wieder einmal mit Ihnen
zu
sammen.
Berlin i
st eine große Stadt, aber
eine
Rothe-Sterngasse gibt es hier nicht. Und ich bin
sehr ein
sam.
Sie
sollen mir bald wieder
schreiben, Sie und Ihr Fräulein
Schwester, das Sie
selb
st die »kleine
Be
stie« nennen. (Ich wage kaum, es niederzu
schreiben). Auch
sollten Sie
Beide nach
Berlin kommen. Ich werde Sie für
stlich aufnehmen,
|und Sie dürfen bei
Josty einen ganzen Tag lang Indianerkrapfen mit Schlagobers e
ssen.
Im Theater
erleben wir allerlei Gutes:
Tolstois »
Macht der Finsterniß«,
Hebbel’s herrliche »
Agnes Bernauer«, ein wenig
Aristophanes etc.
Wenn Sie un
seren lieben
Dr. Arthur Schnitzler sehen,
so
sagen Sie ihm: 1.) daß er mir eine Ewigkeit nicht ge
schrieben hat und
daß dies eine Infamie i
st 2.) daß
Alfred Klaar, der ehemalige Kritiker der »
Bohemia«, ein Schmock in Reincultur, der öde
ste und blöde
ste Schwätzer der
Jetztzeit
, Theaterkritiker und Feuilleton-Redakteur der »
Vossischen Zeitung« geworden i
st. Auch ich hatte
mich für die Stelle gemeldet,
|bekam aber nicht einmal
eine Antwort. Ich bin nämlich (aber
sagen Sie es nicht weiter!) nicht »literari
sch«.
Ich wün
sche Ihnen und dem Fräulein
Liesl frohe Weihnachten, bitte Sie, meinen
Namensvetter
Paul zu grüßen, hoffe, bald wieder durch einen Brief erfreut zu werden, und kü
sse
Ihnen
Beiden je eine Hand.
Ihr freund
schaftlich ergebener
Dr. Paul Goldmann.