Paul Goldmann an Olga Gussmann, 20. 12. [1900]

Berlin, 20. Dezember.

Verehrtes und liebes Fräulein,

Die Briefe, die Sie und Ihr Schwesterchen mir geschrieben, haben mir große Freude bereitet. Seit Wochen liegen sie auf dem Schreibtisch – ganz obenauf, um rasch zur Hand zu sein für den Fall, daß die Stunde des Briefschreibens kommen sollte. Aber die Stunde ist bisher nicht gekommen, wird auch wohl so bald nicht kommen in meinem vielgeplagten Berichterstatter-Dasein, und das, was ich Ihnen heut schreibe, ist eigentlich kein Brief, sondern es sind nur drei kurze Worte des Dankes und des herzlichen Gedankens, die doch endlich einmal gesagt werden mußten, Ihnen |sowohl, wie dem Fräulein Liesl.
Inzwischen war Dr. Schnitzler in Berlin und hat mir Mancherlei über die Rothe-Sterngasse berichtet. Insbesondere, daß es Ihnen gut geht und daß Sie tüchtig vorwärts streben, was ja die Hauptsache ist. Ich wäre gern, gern wieder einmal mit Ihnen zusammen. Berlin ist eine große Stadt, aber eine Rothe-Sterngasse gibt es hier nicht. Und ich bin sehr einsam.
Sie sollen mir bald wieder schreiben, Sie und Ihr Fräulein Schwester, das Sie selbst die »kleine Bestie« nennen. (Ich wage kaum, es niederzuschreiben). Auch sollten Sie Beide nach Berlin kommen. Ich werde Sie fürstlich aufnehmen, |und Sie dürfen bei Josty einen ganzen Tag lang Indianerkrapfen mit Schlagobers essen.
Im Theater erleben wir allerlei Gutes: Tolstois »Macht der Finsterniß«, Hebbels herrliche »Agnes Bernauer«, ein wenig Aristophanes etc.
Wenn Sie unseren lieben Dr. Arthur Schnitzler sehen, ssagen Sie ihm: 1.) daß er mir eine Ewigkeit nicht geschrieben hat und daß dies eine Infamie ist 2.) daß Alfred Klaar, der ehemalige Kritiker der »Bohemia«, ein Schmock in Reincultur, der ödeste und blödeste Schwätzer der Jetztzeit, Theaterkritiker und Feuilleton-Redakteur der »Vossischen Zeitung« geworden ist. Auch ich hatte mich für die Stelle gemeldet, |bekam aber nicht einmal eine Antwort. Ich bin nämlich (aber sagen Sie es nicht weiter!) nicht »literarisch«.
Ich wünsche Ihnen und dem Fräulein Liesl frohe Weihnachten, bitte Sie, meinen Namensvetter Paul zu grüßen, hoffe, bald wieder durch einen Brief erfreut zu werden, und küsse Ihnen Beiden je eine Hand.
Ihr freundschaftlich ergebener
Dr. Paul Goldmann.
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