Endlich einmal eine freie Stunde, nach arbeits
schweren Tagen. Heut will ich er
st Ihren lieben Brief beantworten. Das
Schwesterchen kommt näch
stens an die
Reihe.
Die
ser Ihr Brief war al
so
sehr
schön. Ich
sage Ihnen, es thut wohl, ein wenig
ge
streichelt zu werden, – namentlich wenn man in die
ser Beziehung gar nicht, aber
auch
schon gar nicht verwöhnt i
st. Und doch, er kam ein wenig zu
spät, die
ser Brief.
Ich merke gar zu deutlich, daß mein lieber Freund
Arthur hinter den Couli
ssen die Regie führt. Ich habe
schon aus den
Wiener
Begegnungen |den Eindruck mitgebracht,
××× daß Sie auf mich nur aufmerk
sam geworden
sind, weil ich Ihnen an der Seite
die
ses meines lieben
Freundes
er
schienen bin. Son
st wären Sie wahr
scheinlich an mir vorübergegangen, ohne mich zu
sehen. Ihre Briefe haben mir die Wahrnehmung be
stätigt. Natürlich werden Sie jetzt
prote
stiren. Aber, glauben Sie mir, ich kenne
so gut den Ton, den Diejenigen
annehmen, die Einen verkennen. Ich höre ihn mit
scharfem Ohr
selb
st aus der
Freund
schaft heraus. Ich bin ein Fachmann im Verkanntwerden.
Und da ich müde bin, immer wieder dasselbe zu erleben, selbst bei den ganz Klugen (es
gibt kluge Frauen, die doch |nur Denjenigen richtig
beurtheilen, den sie lieben), so habe ich Ihnen vielleicht nicht so oft geschrieben,
als ich es hätte thun sollen. Das ist aber keine Behandlung »en canaille«,
wahrhaftig nicht. Mit der Freundschaft hat das gar nichts zu thun. Ich will mit der
Freundschaft keine Geschäfte machen; und es ist mir ein sehr feines und ein wenig
ironisches Vergnügen, mehr geben zu können, als ich bekomme.
Vielleicht hätte ich das, was ich Ihnen, liebes Fräulein Olga, da erzählt habe, gar nicht gespürt, wenn ich × nur einen einzigen Menschen hätte (statt Mensch ist natürlich »Frau« zu
lesen), der sich für mich interessirt und der mich lieb hat. Aber ich habe |Niemand. So sitze ich in der Einsamkeit und fange
Grillen. Dieser Brief ist nichts als eine große, gefangene Grille.
Sie werden ihn als solche behandeln und darüber lachen. Aber jetzt, wo mir die Ostersonne zum Fenster hereinscheint, wird es gar schlimm. Die dumme Frage regt sich wieder, warum
es für die ganze Welt Frühling wird und warum ich allein davon ausgenommen sein soll?
Es ist schwer, seinen Gleichmuth zu bewahren, wenn einem so eine Frage im Kopfe
rumort.
Liebes Fräulein, ich möchte wi
ssen, wie es Ihnen und dem lieben
Schwesterchen geht. Und die
Brautlieder von
Cornelius möchte ich auch wohl einmal hören. Schreiben Sie mir bald wieder!
Und fröhliche O
stern!
Ihr Dr. Paul Goldmann
|Herzliche Grüße an Sie
Beide und an Herrn
Paul!