16. 8. 30.
Mein lieber Freund,
Ich danke Dir für Deine Karte aus
Le Prese, u. ich habe mich
sehr gefreut, daß Du meiner gedacht ha
st.
Jugend – es geht mir gerade fortwährend im Kopfe herum. In wenigen Jahren, bin wenn ich es erlebe, was nicht sehr sicher ist, bin
ich siebzig. Ich kann es gar nicht verstehen. Denn das
Ich, die eigentliche, die innere Persönlichkeit, ist dieselbe geblieben, wie stets,
ist nicht gealtert, |ist nicht über die Mitte
der Sechzig hinaus u. wird nicht siebzig sein. Der weißhaarige alte Herr, den mir die
Spiegelscheiben der Schaufenster zeigen, dem die Mädchen auf der Trambahn ihren Platz
anbieten, – das soll ich sein? Aber es ist doch nicht
möglich! Das Eigentliche ist doch noch nicht gekommen, das, was getan werden sollte,
ist noch nicht getan! Das Leben, das ich nicht gelebt habe, das ich so gern leben
möchte, soll vorüber sein? Ich kanns nicht begreifen. . . . .
|Nur ein Gutes
ist: wenn das gramste Nichtmehrwissen kommt, wird man auch nichts mehr von all’ dem Verfehlten u.
Versäumten wissen, wird man auch nicht mehr zu bereuen brauchen. . . . .
Herzliche Grüße an Dich (auch von
Frau u.
Tochter)! Und Empfehlungen an Deinen
Sohn!
Dein
Paul Goldmann.