Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 23. 6. [1904]

Berlin, 23. Juni.

Mein lieber Freund,

Ich habe mich sehr gefreut, zu ersehen, daß Ihr, Du und Deine Frau, wohlbehalten zurückgekommen seid und daß Eure Reissschön verlaufen ist. Und bei der Rückkehr aus Taormina und Pompeji zu Hause einen blondlockigen Sohn vorzufinden, ist auch nicht übel.
Ob mich mein Weg dieses Jahr nach Wien führen wird, ist fraglich. Sollte es der Fall sein, so wird es mir natürlich eine große Freude sein, Dich dort wiederzusehen. |Bei Marienbad bleibt es wahrscheinlich. Was hinterher noch geschehen wird, ist ganz ungewiß. Sobald ich Genaueres weiß, theile ich es Dir mit; und es wäre sehr schön, wenn sich eine Möglichkeit finden ließe, Dich unterwegs zu treffen.
Jetzt im Sommer werden sich wohl wieder alle Vorzüge Eurer prachtvoll gelegenen Wohnung entfalten, und ich wünsche Dir eine Reihe guter Arbeitsstunden auf Deiner Veranda mit dem Blick ins |Grüne. Schreibst Du ein neues Stück? Und gedenkst Du Dich damit an dem Wettkampf der Theater zu betheiligen, der im kommenden Winter in Berlin mit noch nicht dagewesener Heftigkeit entbrennen wird?
Meine Freundin erwidert herzlich Deinen Gruß. Es geht ihr, wie es ihr ging. Sie leidet schwer unter den unerträglichen Verhältnissen ihrer Ehe und der Enge und gemeinen Klatschsucht der Kleinstadt. Sie sehnt sich danach, sich mit mir zu vereinigen; ich sehne mich nach ihr. Aber die |materiellen Verhältnisse erlauben es nicht, diese beiderfeitige Sehnsucht endgiltig zu befriedigen. Und die Lösung ist nach wie vor: Fortwursteln . . . .
Daß Ihr Hoffmannsthal in der Liliencron-Affaire Unrecht gebt, erfreut mich ebensosehr, wie es mich überrascht.
Ich fahre heut Mittag nach Kiel, um über die Monarchen-Zusammenkunft zu berichten.
Herzliche Grüße an Dich und Deine Frau von Deinem getreuen
Paul Goldmann
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar