Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 14. 3. [1904]

Berlin, 14. März.

Mein lieber Freund,

Dein lieber Brief, der mich, wenigstens durch seinen Schlußabsatz, sehr erfreut hat, traf mich inmitten einer stürmisch bewegten Zeit. Meine Freundin war – aus Gründen, die Du Dir denken kannst – erkrankt, sie hat längere Zeit hier auf einer Klinik gelegen, auch jetzt issie noch recht leidend und immer noch hier. Ich habe viel Aufregungen und Sorgen durchgemacht, und so kommt es, daß ich für Deinen Brief, den ich, wenn ich meinem Wunsche hätte folgen können, sofort beantwortet hätte, Dir erst heute danken kann.
Ich unterlasse es, auf das Einzelne |einzugehen. Äußerungen in Deinem Briefe wie »Dein kritisches Gebahren«, – die Meinung, ich hätte Dir zugemuthet, das Stück statt als Trauerspiel als Lustspiel zu schreiben – die Aufforderung »ich sollte mir den Inhalt des Ganzen einmal überlegen«, – die Ansicht, ich wisse nicht immer »mit soviel Klugheit und Würde zu wägen« etc. – das alles zeigt mir nur von Neuem, wie unrichtig Du meine kritische Thätigkeit beurtheilst und wie sehr es Dir (wenn Du auch mir ein offenes Wort erlaubst) an Verständniß für den Ernst und die Höhe meines Strebens fehlt. Darüber läßt sich, meiner Ansicht, nicht diskutiren, und Diskussionen schaffen nur unnütze Verbitterung in einem Fall, wo, wie in dem |unserigen, nicht eine Verschiedenheit der Ansichten, sondern eine Verschiedenheit der Standpunkte vorliegt, die ihren Grund wohl darin haben, daß unsere Lebenswege sich seit Langem getrennt und in verschiedenen Richtungen bewegt haben.
Eines nur bitte ich Dich, mir zu glauben: Es gehört zu den peinlichsten Aufgaben meiner Stellung, ein Stück von Dir kritisiren zu müssen, wenn ich nicht ganz damit einverstanden bin; und ich habe den sehnlichen Wunsch, Dein nächstes Stück möge sschön sein, daß ich mit rückhaltsloser Anerkennung darüber berichten kann, oder es möge mir überhaupt erspart bleiben, darüber zu berichten . . . . .
Von ganzem Herzen aber stimme ich dem Schluß Deines Briefes zu, und ich danke Dir für diese lieben |und schönen Worte. Du hast ganz recht, wenn Du sagst, daß das Beste gelebt und nicht geschrieben wird. Vielleicht wird es gut sein, wenn wir fürs Erste überhaupt vermeiden, über Literatur zu sprechen. Aber im großen Leben bildet die Literatur ja nur ein ganz kleines Gebiet, und es bleibt noch Raum genug für eine Freundschaft die auf diesem literarischen Gebiete nicht mehr zusammengehen kann. Was mich anlangt, so hoffe ich Dir diese Freundschaft noch oft beweisen zu können; und wenn Du mir Deine Hände reichst, so wirst Du die meinen immer bereit finden, sie in alter Treue und Herzlichkeit zu drücken.
Ich merke aber, daß ich ein wenig in die großen Worte hineingerathen bin. Das ist überflüssig, und ich denke, wir Zwei verstehen uns |auch ohne diessehr gut und werden uns – im Wesentlichen – immer verstehen . . . .
Ich hoffe, daß dieser Brief Dich bereits inmitten der Vorbereitungen zur sicilianischen Reise trifft. Zu meiner Freude höre ich, daß der »Einsame Weg« dem Berliner Publikum gefällt und daß das Theater immer voll ist. Laß’ mich wissen, wie es Dir und Deiner kleinen Familie geht, und sei herzlichst gegrüßt von Deinem getreuen
Paul Goldmann
Meine Freundin bittet mich, Dich zu grüßen.
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