Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 5. 2. [1903]

Berlin, 5. Februar.

Mein lieber Freund,

Von den Aufführungsplänen Brahms weiß ich nichts. Vielleicht kann ich etwas durch die Triesch erfahren, die ich dieser Tage sehen werde . Da aber Brahm ein anständiger Mensch ist, nehme ich sicher an, daß er Dir Wort halten wird.
Ich hoffe, Du kommst bald. Ich sehne mich schon sehr danach, mit Dir zu sprechen. Ich leide |ganz unbeschreiblich, weil zu dem Bewußtsein der verlorenen Liebe ein marterndes Bewußtsein der Schuld hinzukommt. Ich mußte diese Frau heirathen, schon aus Ehrenpflicht, – trotz aller Bedenken wegen ihrer Verläßlichkeit. Und dann paßte sie zu mir und liebte mich. Und ich suchte nach einer reichen Parthie! Als ob die Heirath ein Geschäft wäre! Oh ich verblendeter Thor! Jetzt ist |Alles aus. Sie liebt den Andern, geht in ihm auf, findet selbst in seiner Krankheit, die ihn pflegebedürftig macht, ein Band, das sie fesselt, – von seinem Reichthum, der ihr jeden Wunsch erfüllen kann, ganz zu schweigen! Und er spielt jetzt die leichte und dankbare Rolle des unendlich Guten und Nachsichtigen, – eine Rolle, die nach meiner Brutalität von selbst gegeben ist. Ich habe diese Frau, die mich wahrhaft liebte, wie eine |Dirne behandelt (freilich nicht ohne Grund, denn sie hatte immer etwas dirnenhaftes in sich), – er behandelt sie wie eine Heilige. Das wirkt; und so bin ich längst ersetzt, und alle meine flehenden, sehnsüchtigen, reumüthigen Briefe bleiben ohne Antwort. Ich sehe täglich mehr, was ich verloren habe. Wie soll ich da einen Ersatz finden? In der nüchternen, kalten Stadt, in der ich lebe! Und dieser Tage bin ich 38 Jahre geworden!
Viele treue Grüße, auch an Olga! Dein
Paul Goldm
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