Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 3. 1. [1903]

|Telephon 4167. Telegramm-Adresse:
Frankfurt a/M. 3. Januar.

Mein lieber Freund,

Dank für Deinen lieben und theilnehmenden Brief. Morgen fahre ich zurück. Es waren entsetzliche Tage. Gestern habe ich sie, nach inständigen Bitten, zum letzten Mal gesehen. Ich habe sie flehentlich gebeten, zu mir zurückzukehren, habe ihr versprochen, sie zu heirathen. Sie lächelt schmerzlich: »zu spät«. Sie hat mich nicht mehr lieb. Der |»Andere« existirt. Er ist ein rückenmarkskranker Millionär. Was sie an ihn fesselt, ist eine Mischung von Romantik, Mitleid und Behagen an Geld und Wohlleben. Sie hat ihn gern, sie gefällt sich in der Rolle der »Mouche«, – und sie ist glücklich, daß er mit ihr nach Monte Carlo reisen wird. Alles Wundervolle und alles Gemeine ist in dieser Frau gemischt. Das gütigste Herz und die schamlosesten dirnenhaften Instinkte. Ich müßte, aus moralischen und Vernunft-Gründen, froh sein, von ihr loszukommen. Aber was nützen Vernunft und Moral, da ich sie wahnsinnig liebe?
Dank für Deine guten Worte! |Ich glaube nicht, daß ich darüber hinwegkommen werde. Was blühend in meinem Leben war, ist vernichtet, – vernichtet durch meine Schuld. Hätte ich erkannt, was ich an ihr besaß, – hätte ich mich ihrer angenommen, – wäre ich nicht ein niederträchtiger Egoist gewesen, – ich hätte sie behalten.
Adieu, liebster Freund! Grüße Olga und den dicken Buben!
Dein getreuer
Paul Goldmann
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