Felix Salten an Arthur Schnitzler, [11. 11. 1903]

|Mittwoch.
Lieber, vor allem: Ihr Brief vom Semmering gab mir ein Recht zu der Annahme, Sie seien verletzt, und seien in manchen Dingen, die bisher zwischen uns fest standen erschüttert worden. Das legte mir, in meiner Erregung (die Sie begreifen müßen) den Gedanken nahe, ob es rathsam sei, sich nach diesem brieflichen Unwetter sogleich wieder auf kritischem Boden zu treffen. Nur weil die Vorlesung so unmittelbar bevorsteht, kam ich darauf, sie in den Kreis der Discussion zu ziehen, und was also ein zufälliges Zusammentreffen war, nehmen Sie als ein Misstrauen pro futuro.
Ich habe lediglich in einem Gefühl, – wie soll ich sagen? – des Respectes vor der unberührten Stimmung, die sonst bei unseren Vorlesungen obwaltet, lediglich aus dem Wunsch und aus der Besorgnis, die absolute Klarheit dieser für uns alle so notwendigen Athmosphäre ungetrübt zu erhalten, darauf hingewiesen, dass diese Vorlesung Sie vielleicht noch nicht ganz in ruhiger Unbefangenheit mir gegenüber finden wird.
Mein Brief war in seiner sachlichen und gründlichen Ausführlichkeit allein schon ein Freundschaftsbeweis. Alles, was ich darin sage, kann garnicht anders gedacht werden, als dass ich mir die äußerste und ernsteste Mühe gab, einen Freund über meine |Intentionen aufzuklären, seine Verstimmung zu beheben. Dass ich auch dies Letzte, – ohne böse Absicht, ohne einen schlimmen Nebengedanken – aussprach, ist wieder nur ein Freundschaftsbeweis. Nichts in meinem bisherigen Verhalten gegen Sie, nichts in meinem Brief gibt ihnen ein Recht zu der Annahme, ich hätte Ihnen ein häßliches Misstrauen insinuiren wollen. Dagegen muß ich mich mit aller Entschiedenheit verwehren.
Man ist doch nicht »nachträgerisch«, wenn man von einer Sache tiefer berührt wird, Sie setzen consequent verletzende Worte, die ich nie gemeint habe, für die besseren und einfacheren.
Ich hielt Sie, und mußte Sie für tiefer berührt halten, Sie überraschen mich jetzt durch die Mittheilung, es sei Ihnen nicht möglich »dergleichen schwer« zu nehmen.
In Ihrem ersten Brief sagen Sie mir klipp und klar, Sie seien an meiner kritischen Aufrichtigkeit irre geworden. Und das las ich Sonntag. Weil ich nun besorgt wurde, wie das am Donnerstag sein wird, eine Besorgnis, von der Sie sehr genau wissen mußten, dass sie mich ebenso wie der Vorwurf kränken muß, werden Sie heftig.
Sie hätten mir ruhig sagen können: »Die Sache wirkt freilich noch in mir nach, – aber kommen |Sie.« Oder Sie hätten mir sagen können: »es ist kein Rest davon mehr in mir!« Ich wollte weder ein Vertrauensvotum provoziren, noch Ihnen ein Misstrauen aussprechen; – ich wollte Klarheit in einer Sache, die mir so sehr am Herzen liegt, wie unsere Vorlesungen! Ich wollte nicht, mit dem leisesten Schatten einer Besorgnis nach dieser Richtung Ihr Werk hören. Dass ich solche Dinge aussprach, ist einfach ein Beweis subtiler Ehrlichkeit. Dass Sie mir darauf so antworten, legt auch mir die Frage vor, die Sie am Anfang Ihres zweiten Briefes aufwarfen, »ob es nicht besser sei, ec.«
Ich will auf die so sehr heftigen und verletzenden Dinge, die Sie mir schreiben, nicht eingehen. Jetzt nicht. Vielleicht sprechen wir nach der Vorlesung über den Anspruch auf Erregung und Ungerechtigkeit, den Sie für sich selbst geltend machen, und den Sie mir nicht zubilligen wollen, über das hohe Niveau »absoluter Ehrlichkeit,« auf welchem ich unsere Beziehungen nicht solle halten können, und auch darüber, dass von Ihrer Seite das Wort »Bruch« in dieser Angelegenheit fallen konnte. Lieber wäre es mir, und erwünschter freilich gewesen, wenn alles vorher zwischen uns ins Reine gekommen wäre. Aber offenbar können Briefe, die aus dem Temperament und nicht aus Vorbedacht geschrieben werden, eine Sache beiderseits nur verwirren. Ich resumire: Nie werde ich |zu der Empfindung zu überreden sein, dass ich an dem Abbruch unserer Beziehungen Schuld trage, und nie werde ich dieses Auseinandergehen verhindern, wenn mir gesagt wird, dass ich enervante Wirkungen ausübe, und wenn ich sehe, dass ein noch so zartgemeintes Bedenken mir als Misstrauen ausgelegt werden kann. Dagegen werde ich alles aufbieten, eine Freundschaft zu erhalten, die ich als die einzige meines Lebens bezeichnen muß, die mir bisher – ich glaube es bewiesen zu haben – menschlich und künstlerisch theuer war, und die man in meinem Alter ja auch nicht ohne starke Erschütterung verliert, – wenn mir wie sonst die Möglichkeit bleibt, ohne Angst vor Missdeutungen, und ohne Angst vor verzeihender Milde, alles rückhaltlos zu sagen was ich denke! Und es erscheint mir leider notwendig hier noch etwas hinzuzufügen, dass mein schärfster Gedanke gegen Sie bis auf den heutigen Tag noch nicht scharf genug gewesen ist, um auch nur eines Kindes Haut zu ritzen. Ich meine: darauf kommt es an!
Ihr  F S.
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