Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 2. 5. [1902]

Berlin, 2. Mai.

Mein lieber Freund,

Daß Du den Schwindler, den Jurco selbst, laufen läßt, verstehe ich. Der Kerl hat sein Theil. Aber ganz and gar nicht einverstanden bin ich damit, daß Du Herrn Karl Strecker, dem deutschen Mann und literarischen Kritikerso vollständig nachgibst. Das Benehmen dieses Menschen ist von einer so unerhörten Unanständigkeit, daß Du gerade darum energisch auf Deinem Recht bestehen müßtest. Die Leser der »Täglichen Rundschau« (und das Blatt ist in Deutschland mehr gelesen, als irgendeine Wiener Zeitung) müssen glauben, daß Du, da Du auf die »offene Frage« nicht geantwortet hast, an dem Schwindel des Herrn Jurco mitbetheiligt bist. Ich würde es nicht begreifen, wenn |Du darauf verzichtetest, in dieser Angelegenheit entschieden Dein Recht zu verlangen. Du mußt es um Deinetwegen thun, und dann besteht auch ein gewisses allgemeines Interesse, daß die Unanständigkeit eines ehrenfesten deutschen Mannes, des Kritikers eines alldeutschen und antisemitischen Blattes, an die Öffentlichkeit gebracht wird. Du mußt ihm sofort schreiben und auf der Veröffentlichung Deiner Antwort bestehen. Das wird dem Herrn lehren, im nächsten »Fall Schnitzler« vorsichtiger zu sein.
Ich habe eben den »Sonnwendtag« gelesen. Das Stück hat mich sehr ergriffen. Wieviel höher steht dieses Werk eines Dichters als sämmtliche Hauptmannsche Dramen (mit Ausnahme der »Weber«)!
Grüße Olga und sei vielmals und von Herzen gegrüßt von Deinem
Paul Goldmnn
Bist Du Pfingsten in Wien? Vielleicht komme ich hin.
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