Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 25. 9. 1898

Tientsin, 25. September 1898

Mein lieber Freund,

Ich bin jetzt sehr außerhalb der Post-Verbindungen u. habe daher erst dieser Tage Deinen lieben Brief aus Salzburg vom 28. Juli erhalten. Inzwischen bist Du ja längst glücklich heimgekehrt; und wenn Du meinen Brief erhältst, ist wohl auch schon die Première Deines neuen Stückes vorüber und Du bist um einen neuen Erfolg reicher.
|Es ist heut wieder ein Tag, wo ich unsägliches Heimweh habe. Manchmal erwache ich wie aus einen Traume und frage mich, was ich denn eigentlich hier in diesem Lande mache? Noch dazu bin ich seit einigen Wochen recht elend. Die Dysenterie ist mir in den Leib gefahren und geht natürlich nicht wieder weg. Das ist eine schlimme Geschichte. Allein im fremden Lande und auch noch krank dazu und die Heimath so weit!  . . . . .
|Ich danke Dir von Herzen für die Aufmerksamkeit, mit der Du meine Arbeiten verfolgst. Du nennssie »interessant« und ahnst gewiß nicht, daß das ihre Verurtheilung ist. Interessant ist die Rubrik »Vermischtes« in den Zeitungen, die von einem wunderbaren Walfisch-Fang berichtet oder vom tätowirten Indianer. Die unbeschreibliche künstlerische Anstrengung, die ich auf meine Arbeiten verwende, das Bestreben, einfach, klar und doch malerisch darzustellen, |kommt also nicht zum Ausdruck. Wenn selbst Du es nicht siehst, so beweist das, daß meine Arbeiten verfehlt sind, was ich von Anfang an geahnt habe. Es issehr bitter, liebster Freund, interessant zu schreiben.
Mein Brief findet Dich hoffentlich in guter, froher Arbeit und in heller Stimmung. Denke Dir nur, welch’ ein Schemen  alle Deine Leiden sein müssen, |wenn eine einzige Reise von Wien nach Salzburg sie verblassen macht. Quäle Dich nicht und mache Dir einen frohen Winter!
Grüß’ mir den Richard! Ich freue mich, daß er das dritte Capitel des »Götterliebling« beendet hat. Nur fürchte ich, im vierten Capitel wird der Held wieder einschlafen |und einige Jahrhundert Weltgeschichte träumen, und das wird noch recht lang werden.
Man sandte mir hierher einen Artikel von Rudolf Lothar über Dich in der »Wage«. Wenn Du den Autor siehst, so grüße ihn von mir und sage ihm, meines Wissens sei noch nie über Dich ein ähnlicher Blödsinn geschrieben worden. Auch erfahre ich daraus, daß Du |durch Rudolf Lothar zum Schreiben ermuntert worden bist. Jetzt weiß ich, warum Du ein Dichter bist!
Grüß’ Dich Gott, liebster Freund!
Dein treuer
Paul Goldmann
Viele Grüße an Deine Freundin!
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