Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 16. 5. 1898

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»Kremlin
Hong Kong, 16. Mai 1898.

Mein lieber Freund,

Deinen ersten Brief nach Shanghai habe ich schon hier erhalten, und er ist das erste Wort, das ich hier in der Ferne von zu Hause u. von lieben Menschen höre. Herzlichsten Dank dafür, sowie für die beigelegte Empfehlung!
Ich habe in der letzten |Zeit viel merkwürdige Dinge gesehen, namentlich Canton, das einfach aller Beschreibung spottet.
Aber Alles in Allem wünschte ich, ich wäre schon wieder zu Haufe. Das Reisen hier ist mit unsäglichen Strapazen und Entbehrungen verknüpft. Essen u. Wohnen sind schlecht, die Hitze ist unmenschlich, hält auch in der Nacht an, macht infolgedessen das Schlafen unmöglich. Die Deutschen hier sind von einer |Gastfreundschaft, die man zu Hause kaum ahnt; und doch sind es nicht Leute unserer Art, und überhaupt liegt Alles, was uns betrifft u. unser Leben ausmacht, in Europa. Man kann nicht Monate lang allein vom Pittoresken leben. Das ist zu dünne Nahrung. Das Alles hier gesehen zu haben, isschön; aber es zu sehen, erfordert mehr |Selbstüberwindung, Energie u. Entsagung, als man glauben möchte.
Ich sende Dir anbei meine Photographie als Erforscher fremder Welttheile, gemacht vom chinesischen Photographen. Ich hoffe, baldigst wieder von Dir zu hören, (Adresse bleibt: Shanghai, Kais. Deutsches Postamt), wünsche Dir von Herzen Glück auf die Sommer-Reise, | gute Stimmung (warum so düster, liebes Kind? warum Dich so unnütz quälen?) und frohe Erlebnisse, bitte Dich, Deine Freundin recht herzlich zu grüßen, mich den Deinen zu empfehlen u. bin in Treue
Dein
 Paul Goldmann
Viele Grüße an Richard und Leo!
verte
|Hörst Du irgend etwas von dem kleinen Mädchen aus Prag? Wirst Du sie diesen Sommer sehen?
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