Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 15. 6. [1897]

Fondateur M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et littéraire.
Paraissant trois fois par jour. Paris, 15. Juni.
Bureau à Paris

Mein lieber Freund,

Ich wollte Dir immerfort schon schreiben; aber ich habe wieder so hunderterlei zu thun gehabt, und von Tag zu Tage mußte ich das Project verschieben, bis endlich Dein Brief kam.
In der ersten Zeit nach Deiner Abreise hast Du mir an allen Ecken und Enden gefehlt. Nur schwer habe ich mich wieder an das Alleinsein mit all’ den fremden Menschen gewöhnen können.
Gestern habe ich endlich auch eine halbe Stunde Zeit gefunden, um zu Madame Marni zu gehen. Sie sprach sehr warm von Dir und |hat Dich offenbar sehr gut verstanden. Deine Rosen haben sie sehr entzückt. Sie hätte Dir gern gedankt, wenn sie Deine Adresse gewußt hätte.
Daß ich Ende Juli nicht fortkann, isso gut wie sicher. Ich muß jetzt auch mit der russischen Reise des Präsidenten rechnen, während deren ich in Paris bleiben muß wegen möglicher Zwischenfälle. Könntest Du Dir es nicht so einrichten, daß Du Mitte August auf 8 bis 10 Tage nach Ischl kommst? Wenn nicht, so werde ich wohl kaum mich dorthin begeben. Immerhin ist das Alles noch nicht endgiltig. Meine definitiven Dispositionen hängen vom Gang der Ereignisse ab.
An meine Mutter habe ich |mindestens dreimal geschrieben, daß sie Dir den Nansenschen Artikel schicken möge. Hoffentlich hast Du ihn jetzt endlich erhalten.
Daß Frau Olga die schwere Operation glücklich überstanden hat, freut mich von Herzen. Es isschön, daß sie sich meiner noch erinnert. Empfiehl’ mich ihr, bitte, und sag’ ihr, sie solle eine Reconvalescenz-Reise nach Paris machen.
Die Klatscherei von M. B. ist widerwärtig. Oh diese israelitischen Jungfrauen!  . . . .
Ich schlafe schlecht, bin unzufrieden und mißmuthig . . . . .
Könntest Du nicht am 9. oder 11. August zum Parsifal nach Bayreuth kommen?
Grüße Deine Freundin recht herzlich und sei Du selbst vielmals gegrüßt von
Deinem treuen
Paul Goldm
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