Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 2. 11. [1892]

|Frankfurter Zeitung. Paris, 2. November.
Directeur: M. L. Sonnemann.
Journal politique, financier,
commercial et litteraire.
Paraissant trois fois par jour
Bureaux à Paris:

Mein lieber Arthur!

Ich habe die mit ungeduldiger Spannung erwartete Sendung erhalten. Habe mich zunächst an dem äußeren Eindruck geweidet und mich mit der merkwürdigen Thatsache befreundet, daß da vor mir auf blauem Einband ein mir theurer Name stand, ein Stück Literatur geworden. Und habe mich dann athemlos, athemlos an die Lectüre gemacht und die lieben Seiten verschlungen, was ich nicht kannte zuerst – »Abschiedssouper«, »Agonie«, wo ich besonders in letzterem |einfach göttliche Sachen gefunden habe – und was ich kannte darauf. Und es war eine köstliche Stunde, und ich stand wieder unter dem Banne Deines lieben Geistes, mit all’ dem Warmen, Weichen und Traulichen, das er für mich hat und das in meinem wüsten Leben eines der wenigen guten Dinge gewesen ist. Aber ich habe auch als Literat gelesen, als Kritiker wenn Du willst. Ich habe zugleich als Freund gelesen und dann wieder als der Mann, der das Buch des blauen Einbands wegen aufschlägt und fragt: »Arthur Schnitzler? Wer ist das?« Und ich schwöre Dir, nach abermaliger Prüfung Deiner und meiner selbst, nach einer Prüfung, |die von jener neidvollen Strenge des Erfolglosen gegen den Erfolgreichen, des Zurückgebliebenen gegen den Vorwärtsschreitenden erfüllt war, nach alledem kann ich Dir nur Eines versichern: So wie Dein Buch Dich mir zeigt, bist Du ein großes, herzerquickendes, gottbegnadetes, zukunftsreiches Talent. Ich drücke Dir glückwünschend beide Hände angesichts dieses kleinen ersten Bandes, der mir die Kunde davon bringt, daß für Dich die Zukunft beginnt, die ich für Dich geträumt habe. Und ich glaube mich zu der Verheißung berechtigt, daß diese Zukunft groß und reich sein wird, wenn Du jetzt |stark bleibst, wo die ernsten Prüfungen Deiner harren, welche keinem Künstler erspart werden, wenn er in die Öffentlichkeit tritt. Ich weiß nicht, wie ich es machen soll, damit Dir diese Worte nicht altweiberhaft klingen, sondern so treu und ehrlich wie sie gemeint sind. Ich weiß nur, daß ich es gerade jetzt dringender als je wünsche, an Deiner Seite zu sein. Und es thut mir in der Seele weh, daß ich Dir nur aus der Ferne sagen kann in einem Briefe, der nur einmal zu Worte kommt und dann in einer Schublade verschwindet! |Laß’ Dich nicht ablenken oder entmuthigen, wenn hier und da die große Dummheit ihre Stimme gegen Dich erheben sollte. Glatt geht es nicht hinauf. Und das »Il faut se maintenir tout-de-même«, das mir ein Mal ein armer Teufel von einem Collegen sagte, der gar hart mit der Dummheit und Gemeinheit zu ringen hatte, ist ein furchtbar platter und alltäglicher Wahlspruch, aber man kann doch daraus unter Umständen eine Riesenmenge von |Trost und Stärke ziehen.
So hab’ ich getreulich Alles erwogen, das Gute und das Schlimme. Und zuletzt kehre ich nochmals zum Guten zurück und danke Dir für die Freude, die das kleine blaue Buch in mein Zimmer gebracht hat, und scheide von Dir mit dem allerwärmsten aller Glückwünsche . .
Ich umarme Dich herzlichst
Dein
Paul Goldmn
Besprechungen? Wollen sehen.
Schlecht hast Du aber Correctur gelesen. Warum hast Du mir nicht die Bogen geschickt?
Und Richard soll mir schreiben, bitte!
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