Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 5. 8. [1892]

Biarritz 5. August.

Mein lieber Arthur!

Im Abreisefieber mußte ich Deinen letzten lieben Brief unbeantwortet lassen. Erst heut finde ich die nöthige Zeit und Ruhe zu einer Zeile Antwort. Da sitze ich in halber Schlaftrunkenheit und reibe mir die Augen. Das blaue, blaue Meer blinkt zum Fenster hinein und rauscht mir in die Ohren (Atlantischer |Ocean, mein lieber Arthur, Golf von Gascogne.) Und ich frage mich: wie komme ich hierher in den blauen, blauen Süden, an die Grenzmarke von Frankreich und Spanien  (Südwestgrenze, mein lieber Arthur) – ich, der ich gestern noch im Café Pfob saß und die bekannte Caféhaus-Ecke mit Aphorismen austapezierte. Und da willst Du noch Lachen über »die Fäden«?
Das ist wunderbar, all’ das. Aber Du |weißt, daß das Wunderbare nicht das Glückliche ist. Und meine Reise, die objectiv wunderschön ist, ist es subjectiv um so weniger. Schlaftrunken lasse ich mich durch die Welt schleppen. Und mitten in der himmlischen Herrlichkeit des Südens schwirrt mir der Fledermausschwarm meiner Sorgen unaufhörlich um das Haupt, Tag und Nacht, Tag und Nacht. Das Glück? Überall, wo ich hinkomme: »Eine Empfehlung, |und es ist gestern dagewesen«. Ich habe nur ein nervöses Bedürfniß nach Locomotion in mir, halte es nirgends aus und habe stets eine Stimme in mir, die mir sagt: »Dort drüben ist es schöner.« Und so geht es weiter und weiter: übermorgen nach San Sebastian (Nordspanien, mein lieber Arthur), dann nach den Pyrenäen, dann wieder heim. Überall unterwegs bin natürlich |bitterlich allein. Kein Mensch zu finden in diesem verdammten Lande. Mit dem deutschen Accent scheucht man die Leute von sich fort, und man sitzt im Coupé und im Wirthshaus so gemieden, als wäre man der Scharfrichter der zu einer Hinrichtung fährt. . . . 
Mein Onkel ist in Salzburg (Faberhaus). |Wenn Du ihn einmal über den Sonntag besuchen könntest, möcht’ er sich riesig mit Dir freuen. Bitte, fahr doch einmal hinüber. Ich weiß Euch zwei gerne zusammen, die Ihr mir die theuersten Freunde seid. Du kannst all’ Deine literarischen Angelegenheiten mit ihm besprechen, und besseren sachverständigen Rath kannst Du Dir |nicht wünschen. Mußt’ Dich aber vorher anmelden, damit er nicht etwa auf Ausflug ist. . . . 
Dich im September wiedersehen? Schönste aller Aussichten! Aber glaubst Du, ich glaub’s? . . . . 
Bitte, sei brav’ und schreib’ mir eine Zeile nach Pau, Pyrénées, Poste restante, wo ich Mittwoch einzutreffen gedenke. Erhältst Du |meinen Brief zu spät, sschreib’ mir, bitte, nach Cauterets,  Pyrénées, Post restante.
Und was wird aus Richard? Keine Zeile von ihm seit dreiviertel Jahren!
Ich umarme Dich herzlichst!
Dein
treuer
 Paul Goldmann.
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