Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 17. 2. [1894]

|Paris, 17. Februar.

Mein lieber Freund,

Es ist nur der Zeitmangel. Ich denke oft an Dich. Stelle Dir sehr oft vor und es ist doch noch mehr. Spreche auch viel von Dir. Aber schreiben? Unmöglich. Und was auch? Was ich thue, siehst Du aus der Zeitung, wo Du meine Arbeiten mit einer Treue verfolgst, die mich rührt. Nebenher keinen Strich. Improductivitas absoluta. Schädel leer, Herz leer. Verkommene Existenz. Scheußlicher bürgerlicher Zustand, seelischer desgleichen. |Das ist immer dieselbe Geschichte. Was willst Du also von mir hören? Mir ist lieber, ich höre von Dir. Das ist doch wenigstens eine Freude.
Und doch ein kleiner Lichtblick. Einen Menschen gefunden, den Ersten seit Wien. Heißt Henri Albert, Mitte zwanzig. Dasjenige, was wir seinerzeit impertinent genug waren, eine Wir-Natur zu nennen. Noch mehr: ich glaube beinahe, daß er ein viertes Exemplar ist von der Species ArthurRichardLoris. Noch weiß ichs nicht genau; denn ich habe die Aufrichtigkeit-Diagnose noch nicht stellen können. Alles |Übrige scheint zu stimmen. Und, oh Wunder, er kennt Euch Alle, hat von Allen gelesen. Nun kennt er Euch natürlich erst recht. Ich habe ihn – auf Widerruf – zum auswärtigen Mitglied unseres Kreises ernannt, weil ich ihn lieb gewonnen und dies der höchste Orden ist, das Goldene Vließ, das ich zu vergeben habe. Wenn das keine Enttäuschung ist – in Paris haben die Naturen solche Untiefen! – so ists ein wahrer Fund gewesen. Er correspondirt von hier für die »Freie Bühne«, schreibt außerdem viel in den jungen französischen Revüen. Als Elsässer spricht und schreibt er deutsch wie französisch. |Ich bin hinter ihm her, daß er mir über Euch einen Artikel in den »Mercure de France« oder die »Société Nouvelle« macht, daß er etwas von Dir übersetzt etc. Hoffen wir!
Wann kommt endlich Einer von Euch her?
Deine Zukunfts-Zuversicht betreffend Deine Production für dieses Jahr hat mich unendlich erfreut. Aber was? Und wie gehts Dir sonst? Persönliches, persönliches, mein theurer Freund!
Über Niemann bin ich ganz anderer Ansicht. Mich hat das Ding hoch entzückt gerade wegen seiner Absichtslosigkeit, gerade, weil ich in ihm ein einfaches, humorvolles, zierliches Kunstwerk gefunden, von der Höhe des intellectuellen Standpunktes abgesehen. Wer von uns hat da Recht? Und Duerer? Schreib’ mir über Duerer! Herzlichst und in Treue Dein
Paul Goldmann
|viele herzliche Grüße an die Freunde. Schreib mir bald einen langen Brief
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