Marie Herzfeld an Arthur Schnitzler, 16. 1. 1908

|Wien, den 16. Jan. 1908

Lieber und sehr geehrter Dr Schnitzler!

Gestatten Sie mir Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich freue, dass Ihnen der Grillparzer-Preis verliehen worden und damit öffentlich ausgesprochen ist, wie ungerecht Sie – und übrigens nicht bloß Sie – in Oestreich gerade verkannt werden. Es drängt mich umso mehr, Ihnen das zu |sagen, weil ich einmal vor Jahren, wenngleich privat, in den gleichen Fehler verfiel. Als mich damals – es war in den Anatolzeiten – Ihr Herr Vater einmal traf und mit mir über Sie sprach und mir die Ehre erwies, mich um meine Meinung über die Tragkraft und Spannweite Ihres Talentes zu fragen, da konnte ich nicht anders als meinem |Eindruck gemäß sagen, es schiene mir mehr wie ein sehr empfindlicher Resonnanzboden als wie ein selbstständiges Instrument. Als ich nicht lang darauf Gedichte von Ihnen hörte, wurde ich zum erstenmale stutzig und seit dem Band »Der Stein des Weisen« weiß ich, dass ich mich sehr geirrt habe, fühle es mit Vergnügen immer wieder – (»Dämmerseelen« sind ein Meisterwerk und nicht einzig in Ihrem Repertoire –); es hat mich |dieser Irrtum viel gelehrt und vorsichtig und nachdenklich gemacht: übrigens ist mein Instinkt sonst ziemlich sicher.
Also nochmals meinen wärmsten Glückwunsch! Und dabei ist Schönherr keiner, den man misachten darf. Ich glaube, man wollte im »Zwischenspiel« Arthur Schnitzler ehren.
Mit vielen Grüßen,
Marie Herzfeld
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